Der Sieg der Alliierten über das „Dritte Reich“ beendete zwar die Herrschaft der Nationalsozialisten, die von ihnen ausgehende Bedrohung aber war in den Augen vieler Zeitgenossen noch lange nicht gebannt: Würde die entmachtete NS-Elite versuchen, erneut Einfluss zu gewinnen, um ihrer Ideologie einen zweiten Siegeszug zu ermöglichen? Wie reell solche Bedrohungsszenarien waren, zeigte sich 1953, als die Mitglieder des sogenannten Naumann-Kreises verhaftet wurden. Unter der Leitung des ehemaligen Staatssekretärs Goebbels’ hatte eine Gruppe von „Unverbesserlichen“ versucht, die FDP zu infiltrieren, um Einfluss auf die Bundespolitik zu erlangen.
Aber nicht nur für die politische Entwicklung in der Bundesrepublik galt die ehemalige NS-Elite als Bedrohung. Die Tatsache, dass viele ihrer Vertreter nach Argentinien emigrierten, blieb nicht unbemerkt und gab sowohl der argentinischen Opposition als auch den amerikanischen Medien Anlass zur Vermutung, dass unter dem Schutz des populistischen Regimes Juan Domingo Peróns ein „Viertes Reich“ errichtet werde. Auch Jahre später, als sich während der siebziger Jahre in mehreren südamerikanischen Ländern Diktaturen herausbildeten und die Repression zunahm, sahen Menschenrechtsorganisationen und Oppositionelle Hitlers Funktionseliten am Werk. Sie behaupteten, dass Klaus Barbie, der ehemalige Gestapo-Chef von Lyon, Walther Rauff, der an der Konstruktion von Gaswagen beteiligt gewesen war, oder der KZ-Arzt Josef Mengele als Berater der Diktatoren Südamerikas tätig seien und dabei aus ihrem im „Dritten Reich“ gewonnenen Erfahrungsschatz schöpften.
Anderer Art war die Gefahr, die hinter der NS-Emigration in die arabischen Länder gewittert wurde. Israel befürchtete, dass die Tätigkeit ehemaliger NS-Propagandisten in Ägypten und Syrien gepaart mit dem waffentechnische Know-how emigrierter deutscher Wissenschaftler und Ingeneure zu einer ernsthaften Bedrohung für die eigene Sicherheit werden könnte.
Jemand, der wie kein anderer für diese teils realen, teils imaginierten Gefahren stand, war Johann von Leers. Er verkörperte gleich alle drei Bedrohungsszenarien. Während des Nationalsozialismus hatte er sich als antisemitischer Hetzredner und Propagandist verdient gemacht. Nach dem Krieg emigrierte er nach Argentinien, wo er für die rechtsextreme Zeitschrift „Der Weg“ tätig war, deren Mitarbeiter Kontakte zum Naumann-Kreis in der Bundesrepublik unterhielten. Als Perón 1955 gestürzt wurde, ging er schließlich nach Ägypten, wo er zeitweilig im Informationsministerium arbeitete und die internationale rechte Szene mit antisemitischen Schriften versorgte. Mit dem Lebensweg dieses unverbesserlichen Antisemiten und den religiösen Überzeugungen, die sein Handeln bestimmten, befasst sich der vor kurzem bei der ZEIT erschienene Artikel „Erlösung durch Vernichtung“ ( http://www.zeit.de/2010/22/GES-Johann-von-Leers ).