Es ist ein alter Streit - sind Kopien von Kunstwerken nur Kopien oder für sich auch schon Kunstwerke? Geführt wird dieser Streit vor allem in der Kunstgeschichte. Aber auch in der Archäologie wird die Frage wissenschaftlich ausgefochten, ob Kopien ein ähnlicher künstlerischer Wert zugesprochen werden kann wie Originalen. Ist Authentizität dabei möglicherweise das entscheidende Kriterium? Und falls ja, welche Authentizität ist gemeint und ausschlaggebend - die archäologische bzw. historische oder die künstlerische? Der Archäologe Prof. Dr. Luca Giuliani beschäftigt sich am Wissenschaftskolleg zu Berlin mit diesen Fragen und nimmt dabei die antike griechische und römische Bildhauerkunst in den Blick. Haben die Römer die Griechen lediglich kopiert oder haben sie eine eigene Skulpturentechnik entwickelt? Wir haben ihm dazu unsere Fragen gestellt.
"Römische High-Fidelity-Kopien sind immens aufwendige Werke"
L.I.S.A.: Herr Professor Giuliani, Sie sind klassischer Archäologe und forschen derzeit als Permanent Fellow des Wissenschaftskollegs zu Berlin zur Frage, ob römische Bildhauer griechische Meisterwerke kopiert haben. Bevor wir zu einigen Details Ihres Forschungsprojekts kommen – was hat Sie zu diesem Thema geführt? Welche Beobachtungen und Vorüberlegungen gingen dem voraus?
Prof. Giuliani: Ich hielt vor einigen Jahren einen Vortrag am Warburg Institut in London und geriet danach in eine Diskussion mit Amanda Claridge (die an einem monumentalen Werk arbeitet um zu beweisen, dass es in Rom keine Kopien nach griechischen Vorbildern gegeben habe; es ist bis heute nicht erschienen). Ich wusste im Prinzip, dass es amerikanische Kollegen gab, die diese Position einnehmen, hatte mich aber nie näher damit beschäftigt. Dazu hat mich erst das Gespräch in London gebracht. Dabei habe ich u.a. die Arbeiten von Miranda Marvin kennen gelernt, so z.B. deren 2008 erschienene Monographie The Language of the Muses. The Dialogue between Roman and Greek Sculpture. Es ist meines Erachtens eines der großen Bücher unseres Faches - und ist bis heute auf Deutsch nie rezensiert worden. Das fand ich skurril.
L.I.S.A.: Mit Ihrer Fragestellung steigen Sie in eine bestehende wissenschaftliche Kontroverse ein, die Sie als eine transatlantische bezeichnen. Verkürzt könnte man die zwei Lager folgendermaßen skizzieren: In Europa die Position, dass römische Bildhauer in Serie die Werke griechischer Bildhauer kopierten und zwar bewusst kopierten. Dieser traditionellen Sicht steht eine jüngere aus den USA entgegen, die die griechische Vorbildfunktion in Frage stellt und stattdessen von einer genuin römischen Bildhauerkunst spricht. Ist das so im wesentlichen richtig wiedergegeben, und welche Position ist Ihnen da näher?
Prof. Giuliani: Ja, das ist schon richtig. Wobei ich mich gegen den Ausdruck wehren würde, römische Bildhauer hätten "in Serie kopiert". Römische High-Fidelity-Kopien sind immens aufwendige Werke, die mit Serienproduktion (die es in der Antike auch gibt) wirklich nichts zu tun haben. Im ganzen würde ich sagen, dass ich mich der europäischen Positon näher fühle (man kommt nicht aus seiner Haut heraus). Aber ich finde, dass beide Seiten vom jeweils anderen Standpunkt etwas lernen könnten. Das hat allerdings kaum stattgefunden: Die US-amerikanischen Revisionisten und Revisionistinnen haben untereinander kommuniziert und die deutschen Vertreter der Orthodoxie ebenfalls. Auch das finde ich etwas skurril.