Im Mittelalter herrschten Kaiser und Könige nach Gutdünken. Als Autokraten übten sie unabhängig und unkontrolliert politische Macht aus und waren an keine verfassungsmäßigen Beschränkungen gebunden. So die landläufige Vorstellung von Herrschaft in den Nachfolgereichen des Römischen Imperiums in Ost und West. Dass dieses Bild der Könige und Kaiser zu einfach und letztlich falsch ist, zeigt die gegenwärtige Ausstellung "Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht" im Landesmuseum Mainz der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz (GDKE). Sie macht deutlich, worauf sich die Macht der Herrscher stützte, welche Bedeutung dabei nicht nur Adel und Klerus zukam, sondern auch allen weiteren damaligen Untertanen. Die Ausstellungsmacher haben sich dabei auf das abendländische Kaisertum entlang des Rheins orientiert - von Karl dem Großen bis zu Friedrich Barbarossa. Begleitend dazu ist ein voluminöser Band erschienen, der unter anderem unter der wissenschaftlichen Leitung des Mediävisten Prof. Dr. Bernd Schneidmüller von der Universität Heidelberg entstanden ist. Wir haben ihm dazu unsere Fragen gestellt.
"Die Ausstellung erlöst die Kaiser aus ihrer einsamen Gottunmittelbarkeit"
L.I.S.A.: Herr Professor Schneidmüller, im Landesmuseum Mainz ist seit Anfang September die Landesausstellung „Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht. Von Karl dem Großen bis Friedrich Barbarossa“ zu sehen. Sie haben die Ausstellung maßgeblich mitgestaltet, vor allem als einer ihrer wissenschaftlichen Leiter sowie in Redaktion und Lektorat des voluminösen Katalogs zur Schau. Nun ist das nicht die erste Ausstellung zur Geschichte des weströmischen Kaisertums. Was macht die aktuelle anders als vorherige? Wo sind neue Akzente gesetzt, die möglicherweise auch zu einer neuen Lesart der Geschichte der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, das seit den Staufern so genannt wurde, führen? Was ist das zentrale Anliegen?
Prof. Schneidmüller: Die Mainzer Ausstellung entwickelt zwei Profillinien: (I) Im Zentrum stehen die Kaiser des lateinischen Mittelalters. Sie verstanden sich als einzigartig in der göttlichen Heilsordnung. Wegen dieses universalen Selbstbewusstseins bezeichneten sie sich als Kaiser der Römer und griffen damit die antike Idee des Imperiums auf. Deutsche Kaiser gab es nur von 1871 bis 1918, weil ein nationales Kaisertum im Mittelalter undenkbar war. Die Ausstellung erlöst die Kaiser aus ihrer einsamen Gottunmittelbarkeit und fügt sie mit den Säulen ihrer Macht zusammen. An deren Spitze standen stets die geistlichen und weltlichen Fürsten. Seit dem 11. Jahrhundert kamen die Bürgergemeinden und Städte als neue Partner der Könige und Kaiser hinzu; eine besondere Rolle spielten dort die aufblühenden Judengemeinden als Finanziers wie als besondere Schutzbefohlene der Herrschenden. Im Hochmittelalter stützten sich die Kaiser zunehmend auf kleinere Herren und auf ursprünglich unfreie Dienstleute (Ministerialen), die als Spezialisten in Heer und Verwaltung hervortraten. An der politischen Willensbildung hatten im Mittelalter allerdings kaum 10% der Bevölkerung Anteil. Die große Mehrheit der Bevölkerung, vor allem die Bauern, erwirtschaftete dagegen die Grundlagen von Macht und Herrschaft.
Die Ausstellung zeigt, dass – bei allem Glanz der Kaiser – Politik beständig ausgehandelt werden musste, in Konsensstiftung oder in Wirkverbünden. Damals entstanden wichtige Grundlagen unserer föderalen Ordnung. (II) Zum zweiten will die Ausstellung die Bedeutung des Raums für die Politik neu entdecken. Im 12. Jahrhundert schrieb der Chronist Otto von Freising, dass im Land am Rhein „die größte Kraft des Reichs“ liege. Karl der Große und seine Nachfolger hatten diese Region zu einer Zentrallandschaft und zu einer Herzkammer des mittelalterlichen Reichs gemacht, zwischen Aachen und Köln im Norden und Straßburg oder Basel im Süden, zwischen Metz oder Trier im Westen und Frankfurt oder der hessischen Wetterau im Osten. Trotz wechselnder räumlicher Schwerpunkte einzelner Dynastien blieb das Land beiderseits des Rheins im Mittelalter stets die entscheidende Bühne der Macht. In Frankfurt am Main wurden seit dem 12. Jahrhundert die römischen Könige gewählt; in Aachen wurden sie seit dem 10. Jahrhundert gekrönt. Und die Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier standen an der Spitze der Reichsfürsten.