L.I.S.A.: Welche Bedeutung hat der Erhalt von Kulturgütern für die Menschen in Afghanistan, die afghanische Gesellschaft bzw. den Staat Afghanistan? Ist die Lösung anderer Probleme nicht dringender?
Annen: Eine Frage die mir berechtigt immer wieder gestellt wird. Sicherlich gibt die Bedürfnisse nach Bildung, ärztlicher Versorgung, Sicherheit. Ich komme gerade aus Panjshir und in Gesprächen mit den offiziellen Vertretern der Provinz wurde immer wieder der Wunsch nach Straßen, Schulen und Krankenhäusern geäußert.
Dennoch, Kulturstätten sind Zeugnisse der Geschichte und der Identität eines Volkes und das Wissen darüber ist Bildung. Die Zielsetzung des Kulturministeriums ist das Bewusstsein der Bevölkerung für die eignen Kultur zu stärken. Das Bewusstsein einer gemeinsamen kulturellen Vergangenheit kann ein Schritt auf dem Weg der Einigung des Vielvölkerstaates Afghanistan darstellen. Zu der Kulturgeschichte Afghanistans zählt nicht nur die islamische Epoche. Durch die Lage an den wichtigsten Handelsrouten war und ist Afghanistan ein Land von reicher Zivilisation, der verschiedenen Religionen und Völkern. Dieses Wissen über die Vergangenheit und Kulturgeschichte zu vermitteln und somit eine Toleranz des Miteinanders zu fördern ist eine der Zielsetzungen des Ministeriums. Hierzu zählen auch die Wertschätzung und der Schutz von nichtislamischem Kulturerbe, wie beispielsweise buddhistischen Monumenten. Die Sammlung des National Museums in Kabul war eine der bedeutendsten Sammlungen in der Region. Afghanen sind stolz auf ihre Kultur, sehr zu Recht.
Hinzu kommt, dass es an Orten fehlt wo Freizeit gestaltet werden kann. Parks zum picknick, Museen zum Besuch mit den Familien, ein Wunsch nach „Schönem“ in den wirklich harten alltäglichen Leben.
Als ich nach den EID Feiertagen meinen Fahrer fragte, wie er die Feiertage mit seiner Familie verbracht habe, antwortete er mir; „Was sollen wir schon gemacht haben, es gibt keinen Ort für Freizeit mit der Familie, kann nicht mal in Parks, den Zoo oder andere Freizeitstätten Geld investiert werden.“
L.I.S.A.: Wie wird die Zusammenarbeit in Zukunft aussehen? Wird das Engagement deutscher Experten in Afghanistan auf Dauer nötig sein?
Annen: Die meisten der Projekte sind auf viele Jahre angelegt. Die Museumspartnerschaft mit einer Kulturinstitution der westlichen Welt soll beispielsweise über drei Jahre laufen. Capacity Building macht nur mit Kontinuität Sinn. Expertenhilfe wird in den kommenden Jahren benötigt, umso mehr wenn sich die Lage stabilisiert und es möglich sein wird in allen Provinzen zu arbeiten. Nicht zuletzt braucht es Zeit einander kennen zu lernen, um die Arbeit gemeinsam anzugehen. Auch wir ausländische Experten haben zunächst einmal so einiges zu lernen und es werden viele Tees getrunken, bevor man gemeinsam die Probleme angeht. Voraussetzung für das Miteinander ist Vertrauen und das geht nicht von heute auf morgen, präsent sein, Alltag teilen und immer wieder her kommen.
|Susanne Annen, wdr.de|