Die Ursprünge des Fußballsports werden meist mit Bildern von Grubenarbeitern und anderen Werktätigen in Verbindung gebracht. Dabei war Fußball anfangs ausschließlich ein Sport des Bürgertums und des Adels im 19. Jahrhundert. Erst nach 1900 geriet der Fußball auch in den Blickpunkt der Arbeiterschaft, verbunden mit dem Ziel, "das Angebot an deutschen Arbeiterorganisationen zu vervollständigen", wie der Sporthistoriker Christian Wolter im Zuge seiner Recherchen herausgefunden hat. Seine Forschung zum Arbeiterfußball ist in ein zuletzt erschienenes Buch eingeflossen, das eine Lücke in der Geschichte des Fußballs in Deutschland schließt. Wir haben ihm dazu unsere Fragen gestellt.
"Es fehlte eine umfassende Darstellung der Arbeiterfußball-Epoche"
L.I.S.A.: Herr Wolter, Sie haben ein Buch zum Arbeiterfußball in Berlin und Brandenburg von 1910 bis 1933 vorgelegt. Wie kamen Sie zu diesem Thema? Und was ist die Leitfrage Ihrer Studie?
Wolter: Auf das Thema kam ich bei der Arbeit zu meinem Buch "Rasen der Leidenschaften" über die Fußballstadien von Berlin. Dabei stieß ich immer wieder auf das Phänomen Arbeiterfußball, und es fiel mir auf, dass es zu dieser einstigen Massenbewegung noch keine umfassende und an ein breites Publikum gerichtete Darstellung gab. Die bisherige Literatur zum Arbeitersport wandte sich eher an Politologen als an den normalen Fußballfan mit geschichtlichem Interesse. Es fehlte eine umfassende Darstellung der Arbeiterfußball-Epoche von seinen Anfängen in der Kaiserzeit bis zum Ende 1933 und den Nachwirkungen sowie der Blick in den Alltag der Arbeitersportler. Wie sah das Vereinsleben in so einem Verein aus? Welche Fankultur brachte der Arbeiterfußball hervor? Welche Wechselbeziehungen gibt es zum DFB-Fußball?
Es gab auch noch kaum belastbare Statistiken und Meistertafeln für die einzelnen deutschen Teilgebiete und nur wenige bekannte Spieler- und Vereinsschicksale. Dann interessierten mich auch die Übereinstimmungen und Unterschiede der Spielsysteme, der Vereinsnamen und -embleme im Vergleich zum DFB. Und es fanden sich in den Quellen viele schöne Geschichten, Anekdoten und auch der eine oder andere Treppenwitz. Eben alles das, was die Faszination am Fußball schon immer ausgemacht hat - neben dem Spiel das gesamte Drumherum, das im Arbeiterfußball genauso lebendig war wie im DFB-Fuball seiner Zeit.