Der gewaltsame Tod George Floyds hat im Sommer 2020 eine weltweite Protestbewegung gegen die Unterdrückung der schwarzen Minderheit in den Vereinigten Staaten ausgelöst. Unter dem Motto "Black Lives Matter" fordern Aktivistinnen und Aktivsten ein Ende von strukturellem Rassismus und Polizeigewalt. Anders als die Bürgerrechtsbewegung der 1960er und 1970er-Jahre hat die Bewegung heute keine herausstechenden Köpfe mehr, sondern wird von einer breiten Front getragen. Doch die Ikonen von damals sind nicht vergessen: Allen voran Angela Davis, die wohl bekannteste weibliche Figur der Black Power Bewegung. Bis heute kämpft die marxistische Philosophin gegen das US-amerikanische Gefängnissystem. Vor 50 Jahren, im Oktober 1970, wurde sie selbst wegen des Verdachts auf Terrorismus verhaftet. Nach ihrer Freilassung reiste sie in den Osten und verbrüderte sich mit den Führern der realsozialistischen Staaten - als Zeichen der Dankbarkeit für die ungeahnte Welle an Solidarität, die sie während ihrer Inhaftierung aus dem Osten erfuhr. Zu diesem Anlass sprach L.I.S.A. mit der Kunsthistorikerin Dr. Kata Krasznahorkai über Angela Davis, ihren Aktivismus und ihre Vereinnahmung durch Regierende und Oppositionelle in den Staaten des ehemaligen Warschauer Vertrages.
L.I.S.A.: Frau Krasznahorkai, Sie haben sich in der Vergangenheit unter anderem mit der subversiven Rolle von radikalen Künstlerinnen und Künstlern in autoritären Systemen beschäftigt. Was hat Sie nun dazu bewogen, sich mit der Person Angela Davis und deren Rezeption in den Staaten des ehemaligen Ostblocks auseinanderzusetzen, die ja dort gerade nicht in Opposition zu den Regierenden stand?
Dr. Krasznahorkai: Das Spannende an der Rolle von Angela Davis in Osteuropa ist ja gerade, dass sie wie ein Kippbild zwischen Opposition und den Regierenden funktioniert. Ich bin tatsächlich in Staatssicherheitsberichten über subversive Aktionen auf das Thema und die Doppel-Rolle von Davis gekommen. Es geht um die Deutungshoheit über das Bild, die Ikone, zu der sie wurde. Die CIA beschreibt das Sowjetregime 1972 in einem internen Schreiben als „image-conscious“, also bildbewusst. Dieses Bild einer schwarzen Frau mit dem Afrolook ist ein bis heute geltender viraler Bild-Topos geworden: Das FBI-Fahndungsplakat, wo sie als dritte Frau überhaupt auftaucht, zeigt gleich zwei Porträts: einmal mit und einmal ohne die Rundbrille; das Pressebild ihrer Verhaftung in New York, wo sie sich zu tarnen versuchte, indem sie gerade die charakteristische Frisur glatt gekämmt nach hinten zusammengebunden hat und in Handschellen, umgeben von weißen Männern abgeführt wird; Davis mit Mikrofon in der Hand – das sind alles Bilder, die sich gewissermaßen von Angela Davis als Person verselbstständigt haben und selbst zu Akteuren geworden sind. Akteure auf beiden Seiten: als Staatspropaganda, aber auch als ikonisches Bild, das für die Universalität von Anti-Rassismus, Meinungsfreiheit und Gleichheit vor dem Gesetz steht. Zugleich sind diese Bilder auch Akteure für Gendergerechtigkeit, akademische Freiheit und die Autonomie der Universitäten. Denn man darf nicht vergessen, dass die Geschichte mit einem beispiellosen Eingriff des FBI in die Souveränität der Universität, wo Davis lehrte, anfing: Ursprünglich wurde eine junge Philosophie-Professorin ja von einem als Student getarnter FBI-Informanten in der Universitätszeitschrift als Kommunistin geoutet, was der Auslöser für ihre brutale Verfolgung wurde. Die Aktion lief im Rahmen der Counter Intelligence Program des FBI, das speziell auf schwarze Aktivisten zielte. Ronald Reagan, damals Gouverneur von Kalifornien, hat sich persönlich für die Verhaftung dieser fünfundzwanzigjährigen Professorin eingesetzt, nur weil sie Kommunistin war. Das heißt auch, die Regierenden hatten Angst vor einer jungen schwarzen Philosophin. Und zwar schon bevor Davis zu einer weltweit öffentlich bekannten Person wurde. Die Erleichterung nach ihrer Festnahme war von der Regierungsseite deutlich: Der Präsident der USA, Richard Nixon, gratulierte dem FBI zur „Verhaftung der gefährlichen Terroristin Angela Davis“, Ronald Reagan äußert sich ähnlich im Editorial der New York Times. Davis stand also entschieden gegen die Regierenden - nur auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs. Dort machte sie gerade das so interessant.
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Sophie Lorenz, „Heldin des anderen Amerikas“. Die DDR-Solidaritätsbewegung für Angela Davis, 1970–1973, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 10 (2013), S. 38-60, URL: https://zeithistorische-forschungen.de/1-2013/4590
Übrigens haben wir das erste Foto, das sich oben in dem Interview findet, auch als Coverbild des Hefts mit dem Aufsatz von Sophie Lorenz verwendet: https://zeithistorische-forschungen.de/file/2088