Seit einigen Jahren sind die Verflechtungen Mitteleuropas mit dem transatlantischen Sklavenhandel wieder schärfer in den Blick der Frühneuzeitforschung gerückt. Angesichts der meist eher latenten und indirekten Verbindungen werden in den einschlägigen Arbeiten andere Schwerpunkte als bei den typischerweise relativ stark von einem nationalstaatlichen Bezugsrahmen ausgehenden Forschungsarbeiten aus den westeuropäischen oder amerikanischen Ländern gesetzt, und es kommen bislang wenig beachtete Gesichtspunkte zum Vorschein. Dies bietet die Chance zu einer neuen Perspektivierung der Geschichte des transatlantischen Sklavenhandels – eine Forderung, die in den letzten Jahren bisweilen erhoben wurde. Im Folgenden werden drei sehr unterschiedlich gelagerte Schlaglichter auf Verflechtungen des Alten Reichs und von hier stammenden Akteuren mit dem transatlantischen Sklavenhandel geworfen, die Ansätze zu einer Neuinterpretation wichtiger Aspekte dieses historischen Phänomens bieten.
I. Einleitung
Die letzten Monate haben der Welt erneut zu Bewusstsein gebracht, dass die vom transatlantischen Sklavenhandel des 16. bis ins 19. Jahrhundert erzeugten Verwerfungen und Traumata die Gegenwart weiterhin auf globaler Ebene prägen. Auf den Tod von George Perry Floyd infolge von Gewalt durch Polizisten am 25. Mai 2020 in Minneapolis folgte eine weltweite Protestwelle, die sich über mehrere Monate erstreckte. Die Heftigkeit der Proteste zeigte das tiefsitzende Gefühl von Diskriminierung innerhalb der schwarzen Bevölkerung – vor allem, aber nicht nur in den USA – die sich nicht allein als Opfer eines historischen Unrechts, sondern einer fortdauernden Benachteiligung sieht. Die Proteste des Sommers 2020 zeichneten sich dabei auch durch ein neues Selbstbewusstsein der Demonstranten aus, was besonders an den Angriffen auf Statuen sichtbar wird. Das Element des Denkmalstürzens war zwar auch in den Protesten der letzten Jahrzehnte nicht völlig abwesend, es hat aber eindeutig eine neue Virulenz erhalten. Die Personen, die das historische Unrecht begangen haben, die ‚Täter‘, werden symbolisch zur Rechenschaft gezogen und abgeurteilt.
Bei der globalen Black Lives Matter-Bewegung ist eine Nuance in Mitteleuropa zu vermerken, die etwas eingehender betrachtet werden soll. In der Schweiz scheinen die Solidaritätskundgebungen intensiver, das Medienecho der Debatte stärker und die Kritik an Statuen oder anderen Monumenten der ‚Täter‘ markanter als in Deutschland. Quantifizierbar ist dieser Eindruck zwar nicht, bemerkenswert ist aber doch eine von 2.550 Personen unterschriebene Petition zur Entfernung einer zwischenzeitlich mit roter Farbe übergossenen, 1855 aufgestellten Statue von David de Pury (1709-1786) in Neuenburg (Neuchâtel), der sein Vermögen unter anderem im Sklavenhandel erwarb.[1] Etwas Ähnliches scheint in Deutschland von den (meist um 1900 gerade im Zeichen des Wilhelminischen Imperialismus errichteten) Statuen des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm (1620–1688) nicht denkbar, obwohl er als Begründer der Brandenburgisch-Afrikanischen Compagnie (1682–1711) und dem von dieser organisierten Sklavenhandel mit ca. 20.000 über den Atlantik überführten Schwarzen durchaus ein geeigneter ‚Kandidat‘ hierfür wäre.[2]
Mit dieser zugegebenermaßen recht groben Beobachtung korreliert die Präsenz des Themas in der deutschen und Schweizer Presselandschaft. In der Schweiz wurde auch in der Lokal- und Regionalpresse ausführlich über die Verwicklungen des Landes in den Sklavenhandel berichtet; in Deutschland blieb dieser Aspekt eher randständig. Damit erweist sich das Pressegeschehen als ein Spiegelbild der wissenschaftlichen Debatte. Während man in der Schweiz in den letzten Jahren eine Vielzahl an Veröffentlichungen zu diesem Thema vermerken konnte, die auch auf einige Resonanz stießen[3], bleiben entsprechende Forschungen in Deutschland eher selten. Allerdings wurde seit 2015 durch mehrere Bewilligungen von größeren Forschungsprojekten zur eingehenderen Analyse der Verflechtungsgeschichte von Akteuren des Alten Reichs, der Rheinbundstaaten und des Deutschen Bundes mit dem transatlantischen Sklavenhandel manche Veränderung angestoßen, und es sind künftighin neue Erkenntnisse zu erwarten.[4]
Es stellt sich die Frage nach den tieferen Ursachen für den dargelegten Befund. Eine relativ plausible Antwort könnte auf die marginale Beteiligung des Alten Reichs ohne Kolonien und ohne besondere Fernhandelsflotte am transatlantischen Sklavenhandel in den Zeiten seiner heftigsten Umstrittenheit, also vom späten 17. bis ins 19. Jahrhundert, verweisen. Gerade im 18. Jahrhundert sieht man eine starke Beteiligung von Händlern und Bankiers aus der Westschweiz in den französischen Sklavenhandel, die durch eine relativ günstige Stellung von kapitalkräftigen Schweizer Unternehmern auf dem französischen Markt abgesichert war. Herbert Lüthy sprach von der „Banque Protestante“ und meinte damit vor allem Genfer, aber auch Neuenburger und Deutschschweizer Kapitalisten, die im Nachbarkönigreich im Westen auf eigentümliche Art das Finanz- und Bankwesen dominierten.[5] So gesehen würde die gegenwärtige Erinnerungskultur in Deutschland und der Schweiz einer Art ‚Faktengerüst‘ des historischen Verlaufs entsprechen. Da in der Schweiz gerade die Beziehungen zu Frankreich während der Frühen Neuzeit besonders intensiv im historischen Bewusstsein verankert sind, ist eine höhere Rezeptivität für Publikationen in diesem Themenfeld an sich nicht überraschend.[6]
Damit ist allerdings bereits eine Andeutung in eine Richtung gemacht, die latent von den ‚Fakten‘ weg weist. Die Erinnerungskultur in der Schweiz scheint ganz generell eine engere Verbindung zum Zeitalter der Frühen Neuzeit zu haben als dies in Deutschland der Fall ist. Die teilweise seit Jahrhunderten nur wenig veränderten Kantonsgrenzen und die geringere Beteiligung an den kriegerischen und politischen Umwälzungen des 20. Jahrhunderts mögen einen solchen Zugriff auf die eigene Vergangenheit begünstigen. Umgekehrt scheint die historische Verwicklung des Alten Reichs in den Sklavenhandel in der Erinnerungskultur in Deutschland unterschätzt zu werden. Über vielfältige Akteure und Handelslinien war das Alte Reich in einem angesichts der oben skizzierten maritimen Benachteiligung in der Frühen Neuzeit relativ hohen Maße mit dem transatlantischen Sklavenhandel und der amerikanischen Plantagenwirtschaft verflochten. Dabei galt diese Verflechtung auf vielen Ebenen. Nicht nur waren deutsche Kapitäne und Seeleute direkt und körperlich aktiv am Sklavenhandel beteiligt. Auch als in Europa residierende Plantagenbesitzer, Reeder, Verkäufer von Kolonialprodukten und in der Abolitionismusbewegung sehen wir Akteure aus dem Alten Reich hervortreten.
Auch wenn vor allem jüngere Forschungen auf die vielfältigen Verwicklungen von Akteuren des Alten Reichs in den Sklavenhandel verweisen, so waren und sind besonders sichtbare Ausprägungen des Phänomens klassischerweise recht gut bekannt. Forscher im Kaiserreich waren häufig besonders stolz auf das Engagement der Brandenburger im Sklavenhandel im späten 17. Jahrhundert und haben dazu dichte Quelleneditionen und Monographien vorgelegt.[7] Ganz im Sinne einer solchen Linie wurde noch in einem Werk von marinehistorischen Experten aus dem Jahr 1981 der Verkauf der afrikanischen Besitzungen des Großen Kurfürsten durch seinen Nachfolger mit Bedauern kommentiert und hier eine verpasste Chance der deutschen Kolonialgeschichte beklagt.[8] Auch wenn eine solche Ansicht heute sicher nicht mehr unter Historikern oder in der Gesellschaft mehrheitsfähig ist, so sind historische Arbeiten zum Engagement der Brandenburger im Sklavenhandel seit über 120 Jahren relativ zahlreich geblieben. Dementsprechend kann dieser Aspekt der deutschen Geschichte als besonders gut erforscht angesehen werden.[9]
Paradoxerweise mag aber gerade die gute Kenntnis des brandenburgischen Engagements im transatlantischen Sklavenhandel den Blick darauf verstellen, dass die Verflechtungen des Alten Reichs mit der Verschiffung von Schwarzen von Afrika über den Atlantik und ihre Ausbeutung auf den Plantagen der Neuen Welt noch weit mehr Facetten aufweisen. Zu sehr ist wohl das Engagement der Brandenburger durch ihr Scheitern als Episode markiert, wodurch eine eingehendere Auseinandersetzung mit weiteren Ausprägungen der transatlantischen Verflechtungen im Kolonialhandel unterblieben sein mag. Dies ändert sich – wie oben angedeutet – derzeit auf markante Weise, und es steht zu erwarten, dass in wenigen Jahren ein tiefschichtigeres Bild entsteht. Auch wenn noch viele Forschungen ausstehen und es teilweise selbst an Grundlagenarbeiten fehlt, so ist bereits zum jetzigen Zeitpunkt ein neuer Überblick entstanden, der die kontinuierliche Verwicklung des deutschsprachigen Mitteleuropa und seiner Bewohner in den transatlantischen Sklavenhandel von dessen Beginn in den 1520er Jahren bis an sein Ende im späten 19. Jahrhundert aufzeigt. Dabei ging die Beteiligung immer über eine indirekte Beziehung eines reinen Güter- und Produktaustauschs hinaus.[10]
Wenn im Folgenden die ‚Verflechtung‘ des Alten Reichs in den Sklavenhandel thematisiert wird, liegt diesem Begriff ein relativ breites Verständnis zugrunde. Dabei soll keine vollständige Übersicht angestrebt werden; sie wäre auch angesichts der Vielfältigkeit des Themas kaum sinnhaft zu bündeln. Stattdessen sollen ‚Schlaglichter‘ auf unterschiedliche Aspekte geworfen werden, die auf eine komplexe Verbindung über die Jahrhunderte hinweisen. Das erste Schlaglicht wird auf die nominell skandinavischen, tatsächlich jedoch weitgehend durch niederländische und niederdeutsche Akteure bestimmten Afrikakompanien der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts geworfen, die nicht zufälligerweise in der Nähe Hamburgs an der Niederelbe ihre Hauptquartiere hatten. Das zweite Schlaglicht fällt auf einen sehr bedeutenden deutschen Sklavenhändler und -halter des 18. Jahrhunderts, der von Brüssel und damit aus dem Alten Reich heraus operierte und dabei intensiv seine Hinterlandhandelsverbindungen nach Mitteleuropa nutzte. Das dritte Schlaglicht hebt einen weiteren wichtigen und bereits eingehend erforschten deutschen Sklavenhändler und -halter hervor, der in den Jahrzehnten um 1800 von Kopenhagen aus seine Geschäfte betrieb. Dieser jedoch sollte paradoxerweise als dänischer Staatsmann auch einen Beitrag zur Geschichte der globalen Abolition leisten.
Durch diese Schlaglichter wird angestrebt, die deutsche Geschichte als einen ‚typischen‘ Fall Europas auch in Bezug auf die Verwicklungen in den transatlantischen Sklavenhandel aufzuzeigen – natürlich mit eigenen Nuancen und eigenen Konnotationen. Damit wird auch versucht, eine Forderung der jüngeren Forschungen zum Sklavenhandel nachzukommen. Benjamin Steiner hat dieses Desiderat einmal so zusammengefasst: „Um das Phänomen der atlantischen Sklavenökonomie fassen zu können, reicht eine rein auf die letztlich zirkulären Überwindungsbedürfnisse nationaler Erinnerungskulturen konzentrierte Historiographie nicht mehr aus.“[11] Eine konsequent über den jeweiligen nationalen Bezugsrahmen hinausgehende Beschreibung des transatlantischen Sklavenhandels hat hingegen das Potential, dessen grundlegende Mechanismen und Parameter seines Wandels aufzudecken. Dies scheint gerade bei der Verflechtung Mitteleuropas und des Alten Reichs mit dem transatlantischen Sklavenhandel besonders gut möglich zu sein. Die Debatten um den Postkolonialismus mögen auch daher in der Schweiz relativ intensiv sein, da dort eine solche Perspektive bereits mit einer gewissen Selbstverständlichkeit eingenommen wird.[12]
II. Die Anfänge: Sklaven- und Kolonialhandel für die iberischen und skandinavischen Königreiche
Es verdient festgehalten zu werden: Bereits in den Anfängen des transatlantischen Sklavenhandels traten deutsche Unternehmer, konkret die in Augsburg ansässige Handelsgesellschaft der Welser, im Auftrag Spaniens relativ stark mit dem Transport von mehreren tausend Sklaven aus Afrika nach Südamerika hervor. Das Engagement der Welser im Kolonialismus und Kolonialhandel in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde vor einigen Jahren durch eine dichte Studie beleuchtet und soll hier nicht eingehender behandelt werden.[13] Damit sei die langfristige Bedeutung der, von manchen Forschern als „foundational myths“ des deutschen Kolonialismus betrachteten kurzzeitigen Welser-Kolonie in Venezuela nicht abgestritten.[14] Eine engere Verflechtung Süddeutschlands mit dem transatlantischen Kolonial- und Sklavenhandel hat sich daraus aber langfristig nicht ergeben – im Gegensatz zum hier eingehender zu betrachtenden Nord- und Mitteldeutschland.[15]
Der Beginn der Verflechtung Nord- und Mitteldeutschlands mit dem Kolonial- und Sklavenhandel ist zeitlich nicht genau feststellbar. Koloniale Produkte aus der Neuen Welt – insbesondere Zucker – wurden in Sachsen spätestens seit den 1580er Jahren konsumiert, und man kann von einer stetig steigenden Nachfrage ausgehen.[16] Das Produkt lockte wohl auch bald hansische Reeder und Unternehmer auf dessen Herkunftsrouten an. Reguläre Fahrten Hamburger Schiffe zwischen Portugal und Brasilien sind seit 1590 nachgewiesen. Im frühen 17. Jahrhundert ließ dies zwar nach, als die Portugiesen diese Schifffahrtslinien zunehmend nationalisierten, aber auch im Dreißigjährigen Krieg verschwand das Phänomen einer deutschen Direktfahrt zu den atlantischen Kolonien noch nicht gänzlich.[17] Hier mögen manche Sklaventransporte stattgefunden haben – allerdings gibt es bis heute keinen eindeutigen Beleg dafür. Ein Indiz, das für ein gewisses Engagement im Sklavenhandel spricht, ist die Tatsache, dass in manchen Hamburger Quellen der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts „Africa“ als eine von „Barbarien“, also Nordafrika, distinkte Kategorie von Schiffsreisen angegeben wird. In anderen Quellen derselben Zeit wird der Zielraum noch präziser mit „Gene/Angol/Santomo“, also Guinea, Angola und São Tomé angegeben. Es spricht manches dafür, dass die ‚neutralen‘ deutschen Schiffe im atlantischen Sklavenhandel der iberischen Mächte gebraucht wurden, ohne dass wir das derzeit genauer nachvollziehen können.[18] Sicher können wir aber sein, dass jedwedes Engagement in den Jahren des Dreißigjährigen Krieges wenig intensiv gewesen sein wird.
Von den späten 1640er bis in die frühen 1670er Jahre jedoch waren viel Hamburger Kapital und Seeleute sowie Schiffe an zwei skandinavischen Afrikakompanien beteiligt. Hierbei handelte es sich um die von Schweden protegierte „Schwedische Afrika-Kompanie“ (SAK), die ihren Hauptsitz in Stade hatte, sowie die Glückstädter Afrikanische Kompanie, die ebenfalls ihr Hauptquartier an der Niederelbe nahm. An dieser Stelle soll die ränkevolle, kriegerische und wechselhafte Geschichte beider Kompanien nicht eingehend besprochen werden. Es seien nur einzelne Stränge aus der Literatur herausgehoben. Die SAK existierte nur wenige Jahre, formal von 1649 bis 1663, hauptsächlich aktiv war sie zwischen 1650 und 1657. Sie war bis auf einige Kapitalbeteiligungen und daraus resultierende Dividenden nie substantiell an Schweden angebunden, sondern verband im Wesentlichen die deutsche und niederländische Nordseeküste mit Afrika. Claus Tiedemann, der sich intensiv mit der Kompanie auseinandergesetzt hat, bezeichnet sie als „ein fast ausschließlich hamburgisches Unternehmen“, wobei allerdings zu bedenken ist, dass viele niederländischstämmige, aber in Hamburg residierende Kaufleute als Kapitalgeber und Reeder der SAK wirkten.[19] Schweden stützte hier eine seiner reichsten Unternehmerdynastien, die Familie De Geer, deren bedeutendster Vertreter Louis De Geer (1587–1652) sich seit 1627 vornehmlich in Stockholm und nicht mehr an seinem eigentlichen Heimatort Amsterdam aufhielt. Die Fahrten, die die SAK von der Niederelbe nach Afrika organisierte, waren recht profitabel. Die Kompanie betrieb dabei auch Sklavenhandel in geringem Umfang, wozu wir im einschlägigen wissenschaftlichen Artikel lesen können: „The SAK’s slave trade was, however, limited. Not more than 300–400 slaves were transported to Sao Tomé during the whole period.”[20] São Tomé war ein wichtiger Transitknoten des portugiesischen Sklavenhandels, wir können daher davon ausgehen, dass diese deutschen Schiffe unter schwedischer Flagge Zubringerdienste für den transatlantischen Sklavenhandel ins portugiesische Kolonialreich leisteten.
Bereits in den späten 1650er Jahren ging diese Kompanie aufgrund von bewaffneten Auseinandersetzungen mit den Seemächten nieder, Schweden konnte sie nicht hinreichend schützen. Für die Hamburger Interessenten im Afrika- und Kolonialhandel war das nur wenig problematisch. Seit 1659/60 kam als Alternative die Glückstädter Kompanie unter dänischer Protektion auf. Diese entstand im Wesentlichen aufgrund der erfolgreichen Kriegsführung Dänemarks gegen Schweden an der afrikanischen Küste, wo nun die Dänen Präsenz zeigten. Die Glückstädter Kompanie ist, wie die SAK, auch im Zusammenhang mit Aktivitäten niederländischer Kaufleute zu sehen, die dem Monopol der Westindischen Kompanie entgehen wollten. Hierzu bot sich die Niederelbe besonders an, da hier mit Hamburg ein bedeutender Hafen mit weitem Hinterland lockte, wo auch eine zahlreiche niederländische Gemeinde existierte. Es ist bezeichnend, dass die meisten Akten der Glückstädter Kompanie auf Niederländisch geschrieben sind.
Es sei an dieser Stelle ein Blick in ein Rechnungsbuch der Kompanie geworfen. Auf der gezeigten Doppelseite sind 103 Sklaven (Negers) notiert, die nach São Tomé geschickt wurden. Die Glückstädter Kompanie führte also das Geschäft ihrer schwedischen ‚Vorgängerkompanie‘ weiter. Genauso wie im Falle der Glückstädter Kompanie kann hier angenommen werden, dass die Sklaven von dort aus durch portugiesische Schiffe nach Brasilien weitertransportiert wurden. Die Ausrüstung der Schiffe erfolgte in Hamburg, die genutzte Währung war die im Hanseraum und Norddeutschland weit verbreitete Mark Lübisch. Als weitere wichtige ‚Ware‘ zeigt sich das in Europa höchst begehrte afrikanische Gold.[21] Geliefert wurde im Gegenzug, wie wir auf den vorherigen Seiten dieses Rechnungsbuches finden, Leinwand, Brandwein, Spiegel, Blankwaffen und verschiedenste Metallwaren. All dies ist typisch für den transatlantischen Sklavenhandel, in den die Glückstädter Kompanie und ihre Hamburger Beteiligten vom Schiffsjungen bis zum reichen Finanzier offenbar funktional eingebunden waren.
Die Glückstädter Kompanie traf bei ihrem Handel auf dasselbe Problem, welches auch die SAK geplagt hatte. Die Konkurrenten führten einen andauernden Kleinkrieg gegeneinander, was im Falle des Afrikahandels konkret bedeutete, dass die dänische Westindien-Kompanie gegen die niederländische Westindien-Kompanie und die English Royal African Company stand – und die beiden letzteren ebenfalls gegeneinander. Die Kämpfe der Kompanien gegeneinander wurden bisweilen sogar dann ausgetragen, wenn sich die Staaten in der Heimat im Frieden befanden. Ein wichtiger Grund hierfür war seitens der niederländischen Westindien-Kompanie der Vorwurf, dass die Glückstädter Kompanie nur eine Art von Camouflage für Niederländer mit Wohnort an der Niederelbe sei, die sich dem Monopol der heimatlichen Firma entziehen wollten. Anfang der 1670er Jahre wurden alle drei Kompanien nach ihren ruinösen Kriegshandlungen gegeneinander von ihrer Schuldenlast erdrückt, was für einige Jahre zu einem deutlichen Rückgang des Afrikahandels insgesamt führte. Die Glückstädter Kompanie wurde aufgelöst und nach Kopenhagen verlegt.
Eine Art ‚Erbe‘ dieses faktisch im Wesentlichen Hamburger Engagements im Afrika- und Sklavenhandel ist eine relativ reichhaltige deutschsprachige Literatur zu Westafrika aus dieser Zeit. So verfasste der Prediger von Harburg, Wilhelm Müller, ein fast 300-seitiges Werk über „Die Africanische Landschafft Fetu“, das 1673 in Hamburg gedruckt wurde. Adam Jones, ein Afrikanist der Universität Leipzig, kommentierte es als ein „classic piece of systematic, almost pedantic, Teutonic scholarschip“.[22] Dieses Werk sowie die weitere deutschsprachige Literatur zu Westafrika entstand nicht zufälligerweise in den Jahren der besonders aktiven Afrikakompanien unter skandinavischen Flaggen mit ihren wesentlichen Finanziers und Organisatoren an der Niederelbe.
Das politisch-wirtschaftliche Erbe der niedergegangenen skandinavischen Kompanien trat Brandenburg an. In den 1680er Jahren trat der Sklavenhandel unter Brandenburger Flagge in den Vordergrund. Dieser wurde sowohl in der Literatur als auch in den überregionalen Medien bereits häufig thematisiert, so dass hier die wesentlichen Züge nur kursorisch angedeutet werden sollen. Die etwa 20.000 zwischen 1680 und 1710 transportierten Sklaven machen dieses Engagement zu einem zeitgenössisch recht bedeutenden, quantitativ etwa so wichtig wie das französische. Man kann sogar behaupten, dass die Aktivität der Brandenburger eine gewisse Schrittmacherfunktion für den globalen Sklavenhandel hatte. So schrieb Waldemar Westergaard in seinem Klassiker zur Geschichte der dänischen Karibikinseln bezüglich der Aktivitäten des dortigen Gouverneurs Johan Lorensen (im Amt mit einer kurzen Unterbrechung von 1689 bis 1702):
It was the profits made by the Brandenburg African Company in some of its early Guinea voyages that brought home to the observant governor Lorentz the possibilities of the slave trade as a source of revenue for the Danish company[23]
Die Inspiration wurde nicht vergessen und gerade der dänische Sklavenhandel sollte im 18. Jahrhundert ziemlich intensiv werden.
III. Im 18. Jahrhundert: Im Kielwasser des französischen Sklavenhandels
In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts sieht man nur wenig Beteiligung deutschsprachiger oder im Alten Reich beheimateter Akteure am Sklavenhandel. Profite und Organisation des dänischen Sklavenhandels wurden auf die Hauptstadt Kopenhagen konzentriert und dabei auch Hamburger Kapitalbeteiligungen durch die dänische Seite bewusst minimiert – die Monarchie war der Elbestadt gerade in diesem Zeitraum in großer Abneigung verbunden. Auch aus diesen Erwägungen heraus hielt man den Freihafen Altona vom Kolonialhandel fern, da man hier die Gefahr eines zu großen Einflusses Hamburger Kaufleute fürchtete. Die Akten zum dänischen Sklavenhandel in diesen Jahren sind auch überwiegend in Dänisch geschrieben, im markanten Gegensatz zur zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, als sie im Wesentlichen Niederländisch oder bisweilen auch Hochdeutsch geführt worden waren. Die dänische Westindien-Kompanie nutzte zudem hauptsächlich Kopenhagener Schiffe für ihre Fahrten. Eine Durchsicht der vielfältig überlieferten Mannschaftslisten der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts fördert auch fast ausschließlich dänische Heimatorte zutage, wenngleich sich auch immer wieder vereinzelt Seeleute von deutschen Küstenorten finden.[24]
In dieser Zeit der stärkeren Abstinenz deutscher Akteure von der direkten Beteiligung am Kolonial- und Sklavenhandel verdichteten sich allerdings die Beziehungen der deutschen Textilgewerbelandschaften zur karibischen Wirtschaftswelt. Bereits seit dem späten 17. Jahrhundert waren die wirtschaftlichen Bande gerade zwischen den norddeutschen Textilerzeugungsregionen vom Rheinland bis Schlesien und England deutlich enger geworden, da immer mehr Leinwand zu den britischen Inseln gesandt und von dort als Re-Export in den atlantischen Kolonialraum überführt wurde. Die in Deutschland erzeugte Leinwand galt für Sklaven als besonders geeignet, da sie günstig war und angesichts ihres geringen Gewichts auch bei besonderer Hitze getragen werden konnte. Es ist bezeichnend, dass der Begriff „Ozenbrig“ (Osnabrück) sich im 18. Jahrhundert quasi als feststehender Ausdruck für die Kleidung der Sklaven einbürgerte. Hiervon zeugen beispielsweise die Fahndungsaufrufe zu entlaufenen Sklaven aus dem kolonialen Amerika, in denen bei der Aufzählung der Kleidung das „Ozenbrig“ fast nie fehlte.
Zugleich nahm die Nachfrage im deutschsprachigen Mitteleuropa vor allem nach zwei Kolonialprodukten enorm zu. Hierzu sei aus der einschlägigen Forschungsliteratur zum Hamburger Importhandel aus dieser Zeit direkt zitiert: „During the last third of the eighteenth century sugar and coffee alone accounted for more than 60 per cent of total recorded overseas imports”.[25] Beide Produkte waren leicht verdauliche Kohlehydrate und/oder Stimulantien, die mit einigem Genuss konsumiert werden konnten und zudem noch – vor allem im 18. Jahrhundert – das Prestige des Konsumenten steigerten. Aufgrund dieser Eigenschaften war die Nachfrage nach beiden Produkten potentiell nach oben unbegrenzt und die Erzeugung durch stetige Ausweitung des Anbaus im amerikanischen Kolonialraum ebenfalls. Angesichts einer zugleich nur langsam steigenden Produktivität in Europa war der Erwerb dieser begehrten Kolonialprodukte für die Konsumenten hauptsächlich durch Ausweitung der Arbeitszeit möglich. In der einschlägigen Forschungsliteratur wird die dadurch angeregte „Industrious Revolution“ (Fleißrevolution) des 18. Jahrhunderts als wichtige Voraussetzung der „Industrial Revolution“ gesehen.[26]
Der sich konstant verdichtende Nexus des deutschen Textilgewerbes und der karibischen Plantagenökonomie wurde nicht nur durch Sklavenhändler der westeuropäischen Mächte vermittelt. Kurioserweise trat im 18. Jahrhundert faktisch das Gegenteil ein. Großhändler aus Mitteleuropa wurden in dieser Zeit besonders zahlreich in Großbritannien und Frankreich und sie nutzten mit Vorliebe Schiffe unter der dänischen oder niederländischen Flagge für den sogenannten Re-Exporthandel, also den Weiterverkauf von aus den Kolonien gelieferten Produkten nach Mitteleuropa zu den Nordseehäfen. Die Profite in diesem Segment des Zwischenhandels gingen daher immer stärker an die mitteleuropäischen Händler. Für dieses Phänomen werden verschiedene Erklärungen in der Literatur angeboten. Bezüglich der französischen Atlantikhäfen sind sich relativ viele Historiker einig: Sie sehen hier eine Art von Risikoaversion der Kolonialhändler als Ursache. Der Überseehandel mit den eigenen Kolonien war legislativ geschützt, und man zog aus diesem relativ sichere Profite. Die risikobehaftete Weitervermarktung in Nordeuropa überließ man Händlern aus dieser Region.[27]
Ob dies so stimmig ist, sei dennoch dahingestellt. Möglicherweise wirkte zugunsten der Nordeuropäer eher ihre Anbindung an große Flüsse (Rhein, Elbe) mit einem weiten Hinterland, ihre relative Nähe zu den weiten Märkten Osteuropas und ihre bessere Anbindung an die europäischen Postlinien mit ihren Zentren in Frankfurt und Brüssel, was immer ein relativ rasches Informiertsein über Preisentwicklungen bedingte. Es sei dabei auch bedacht, dass sich nur wenige britische Händler im 18. Jahrhundert in Hamburg dauerhaft niederließen, jedoch viele Hamburger und weitere deutsche Händler sich in Großbritannien ansiedelten.[28] Eine Art von Risikoaversion britischer Händler im 18. Jahrhundert wurde in der Literatur noch nicht behauptet, obgleich sie den Re-Export ihrer Produkte auf den Kontinent genauso wie die Franzosen weitgehend den kontinentalen Nordeuropäern überließen. Welche Ursache es auch immer hatte, die bedeutende Rolle der deutschen und Schweizer Händler in westeuropäischen Hafenstädten in diesem Segment des Kolonialhandels war aufsehenerregend. Die günstige Entwicklung der norddeutschen Gewerbelandschaften in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und der Bevölkerungszahlen in diesen Regionen wird auch auf die recht massive Handelsverdichtung mit dem kolonialen Atlantikraum zurückgeführt.[29]
Einige Zahlen können die Dimensionen der Expansion verdeutlichen, die gerade die deutschen Gewerbe durch ihre enge Anbindung an den Kolonialhandel durchliefen. So stieg der jährliche Export von Deutschland nach England von 185.000 £ im Jahr 1663 auf 818.000 £ im Jahr 1699.[30] Dabei nahm Leinwand einen immer bedeutenderen Rang ein, um im 18. Jahrhundert häufig über 80% des gesamten Wertes auszumachen. Diese Leinwand nun ging zu ebenfalls 80 bis 90% in den Re-Export, wurde also in den englischen Kolonialraum weitergelenkt.[31] Im Falle des deutsch-französischen Handels im 18. Jahrhundert ist die Struktur ähnlich. Für beide Seiten war der jeweilige Partner der wichtigste europäische Exportmarkt, wobei das von Seiten Frankreichs besonders stark galt, welches zum Jahrhundertende hin über 21% seiner Exporte ins Alte Reich absetzte. Dabei machten Kolonialprodukte über 60% der Exportgüter aus Frankreich aus, und sehr weit abgeschlagen folgten Gewerbeerzeugnisse oder Wein. Dieser Handel vollzog sich trotz der gemeinsamen Landesgrenze zu über zwei Dritteln zur See. Der Transport erfolgte zu über 90% auf deutschen Schiffen, die zu hunderten vor allem Bordeaux als das Zentrum des französischen Kolonialhandels aufsuchten. Dort befand sich eine relativ große ‚Kolonie‘ deutscher, vor allem Hamburger Kaufleute. Da damit die Frachtgebühren den deutschen Händlern zugutekamen, war der Vorteil des exzessiven Handelsbilanzüberschusses der französischen Seite etwas abgeschwächt.[32]
Kurz zusammengefasst: Der vom Sklavenhandel abhängige Handel mit Kolonialprodukten wurde zu einer bedeutenden Suprastruktur des atlantischen und innereuropäischen Austauschs im 18. Jahrhundert. Davon profitierte das Alte Reich, da damit dessen Textilgewerbe und Reedereien in hohem Maße aktiviert wurden. Die hauptsächlich importierten Produkte Zucker und Kaffee wirkten als erstrebenswerte Güter und Stimulanzien für immer weitere Bevölkerungskreise, was einen wichtigen Impuls zur gewerblichen Entwicklung setzte. Im Zuge des sich stetig intensivierenden Handels war es nicht ungewöhnlich, dass im Laufe des 18. Jahrhunderts auch deutsche Händler in westeuropäischen Küstenstädten dazu übergingen, selbst den Sklavenhandel von den Häfen ihrer Gastgebergesellschaften aus zu organisieren. Hierzu fehlt es bislang deutlich an Detailforschung, allerdings zeigen die bereits vorliegenden Übersichten eine relativ intensive Aktivität im Sklavenhandel seit der Mitte des 18. Jahrhunderts. In Westeuropa sind uns die Namen einiger deutschstämmiger Händler überliefert, deren Engagement im jeweiligen Sklavenhandel relativ bedeutsam erscheint.[33]
Einer der erfolgreichsten Händler aus dieser Gruppe sei im Folgenden eingehender präsentiert. Friedrich Romberg wurde 1729 als fünftes von sechs Kindern im kleinen Dorf Sundwig, heute ein Stadtteil von Hemer, nahe bei Iserlohn geboren. Er entstammte mittleren bürgerlichen Verhältnissen mit einer leichten Unterstützung durch die nahebei lebende Adelsfamilie von Romberg, von der sein Vater als illegitimer Spross abstammte. Friedrich Romberg durchlief eine kaufmännische Ausbildung in Iserlohn und Augsburg sowie eine Anstellung in Aachen, bevor er 1755/56 zusammen mit seinem Bruder nach Brüssel emigrierte. Hier kamen beide Brüder im folgenden Jahrzehnt zu einigem Wohlstand, vor allem durch den Verkauf hochwertiger Textilien aus Schlesien und Hamburg. 1766 ersteigerten beide ein Transitprivileg, das ihnen den Transport von Ostende bis an die Grenze Luxemburgs ‚auferlegte‘ und durch ein faktisches Monopol von einigen Jahren auch erleichterte. Die Regierung der österreichischen Niederlande (weitgehend das heutige Belgien) in Brüssel wünschte dabei vor allem die Reduzierung der Abhängigkeit von den niederländischen Nordseehäfen und die Umgehung des sich von Norden nach Süden erstreckenden Territoriums des Fürstbistums Lüttich. Dabei kam den beiden Rombergs wohl besonders zupass, dass sie gute Kontakte ins Reich pflegten. Sie konnten daher den Transit weit nach Mitteleuropa hinein optimieren.
Der Transithandel über den ganzen europäischen Kontinent war in den folgenden Jahren eine wichtige Basis des wachsenden Wohlstandes der „Frères Romberg“ in Brüssel.[34] 1771 wurde ihre Firma in folgenden Worten beschrieben:
Händler mit Baumwollstoffen, Musselin, Samt, Wollwaren, Trockenfrüchten und anderen Waren verschiedener Art: Korrespondenzen mit England, Holland, der Schweiz, Deutschland, Italien, Frankreich, Wien und Triest. Transitspediteure aus diesen verschiedenen Ländern über Ostende. Übernehmen den Transport derselben Waren. Kauf und Verkauf auf Kommissionsbasis.[35]
Die Firma verwirklichte damit den in Österreich bereits länger gehegten Traum eines transkontinentalen Durchfuhrverkehrs, der von der Nordsee bis ans Mittelmeer reichte und dabei insbesondere Territorien des Hauses Habsburg bevorzugen sollte.[36] In den 1770er Jahren wuchs der Transithandel stark an und verband die österreichischen Niederlande immer fester mit dem ausgedehnten Hinterlandhandel einerseits über Metz und Lothringen, andererseits über die Mosel mit dem Oberrhein, und so mit der Schweiz und Italien und dem Mittelmeerraum. Romberg selbst rühmte sich 1810, dass er der erste Händler gewesen sei, der eine zollfreie Verbindung von Ostende bis nach Neapel errichtet habe. Dabei war Lindau ein Knotenpunkt seines transeuropäischen Handels. Von hier aus organisierte er zwei Transportzweige, einen nach Venedig und den anderen nach Neapel.[37] Vor allem Kolonialwaren gingen über den Verteilerknoten Lindau in Richtung Italien.[38]
Als 1778 der Krieg zwischen Frankreich und Großbritannien ausbrach, waren die Voraussetzungen dank der Vorbereitungen von Rombergs Firma recht ideal für einen Boom des Hafens von Ostende. Wer hier anlandete, trat mit einem ausgedehnten Hinterland in Austausch. Seit die Briten die Niederlande im Dezember 1780 angriffen, verblieb zudem nur noch Ostende als einziger relevanter neutraler Hafen zwischen Emden und Portugal. Die nächsten Jahre brachten Ostende einen großen Boom an Schiffseingängen und Frachtumschlag. 1773 hatten hier noch 429 Schiffe angelegt, 1781 waren es 2.941, also fast das Siebenfache. Die allumfassende Korsarengefahr auf den Ozeanen trieb die Versicherungsprämien für Schiffe von Spanien, Frankreich, Großbritannien und den nördlichen Niederlanden in die Höhe und verteuerte deren Frachtverkehr. Daher wurde die Flotte der österreichischen Niederlande nun auch in großem Umfang nachgefragt. Die Vorteile der relativen Nähe zu allen kriegsführenden Parteien und die sprachliche Offenheit nach Frankreich und den Niederlanden hin machte einen guten Teil der Attraktivität der kaiserlichen Flagge und Seepapiere aus.
Romberg nutzte diese Gelegenheit wie kein zweiter in Belgien. Einerseits vergab er reichlich seinen ‚Namen‘ und ließ Schiffe aus den Nachbarstaaten fingiert bei sich registrieren; dafür bekamen sie die imperiale Flagge und entsprechende Schiffspapiere zugesandt. Eine zeitgenössische Beschreibung aus französischer Sicht hierzu lässt an Klarheit nichts zu wünschen übrig:
Während des Krieges von 1780 verletzten die Engländer die Rechte der meisten der neutralen Flaggen. Der Kaiser, sei es, dass er mehr Macht oder mehr Festigkeit als die anderen Souveräne besaß, war der einzige, der die Rechte seiner eigenen Flagge durchsetzte, unter welcher er ausgezeichnete maritime Operationen auf den Karibikinseln, im Sklavenhandel usw. durchführte. Es handelte sich nur darum, einen Strohmann aus Ostende oder Flandern, einen Kapitän und zwei Drittel der Besatzung dieser Nation zu haben, und das Geschäft wurde von einem zweiten eingebürgerten Franzosen geleitet. Die Produkte der Antillen waren damals billig und Fracht übermäßig teuer. Herr Romberg nahm 10 Prozent, um den Franzosen seinen Namen zu leihen, die Forderungen einzutreiben usw. Er kümmerte sich sogar um die Bestellungen, Versicherungen usw.[39]
Durch das intensive Engagement für die fremden Atlantikhändler sah Romberg recht schnell, welche Profite hier zu machen waren. Als Inhaber einer Firma, die große Mengen an Kapitalien akkumuliert hatte, erkannte er im Atlantikhandel wohl rasch ein profitables Geschäftsfeld.
Viele Monate bevor die Briten den Niederländern im Dezember 1780 den Krieg erklärten, also zu einer Zeit, als noch hauptsächlich die niederländische Handelsflotte große Neutralitätsprofite machte und damit die zu erwartende Gewinnspanne noch nicht übermäßig war, begann Romberg, der hierfür 1782 sogar eine eigene Tochterunternehmung in Gent, „Romberg & Consors“, gründen sollte, sein direktes Engagement im Sklavenhandel. In einer 1785 erstellten deutsche Übersetzung einer auf Französisch verfassten zeitgenössischen Darstellung von 1783 heißt es hierzu:
Das erste Schif, das aus dem Hafen von Ostende nach den afrikanischen Küsten ging, war von Herrn Romberg ausgerüstet, es hieß Marie Antoinette, und war zu 290 Negern. Im Jahr 1782. rüstete Herr Romberg noch zehn andere Negernschiffe zum Transport von 5000 Negern aus. Es ist zu verwundern, daß ein Mann alle Bewegungen einer so grosen Maschine, als diejenige ist, die Herr Romberg in Bewegung gesezt, regieren kann. Es gibt kein Land, ja keine Stadt, mit welcher er nicht in Handlungsgeschäften stehe. Wie gros muß nicht die Erkänntlichkeit wahrer österreichischer niederländischer Patrioten sein! Hatte Herr Romberg auch Feinde, die es aus Neid und Eifersucht geworden, so bin ich doch überzeugt, daß keiner es laut sagen wird. Seinem Vaterlande dienen, ist Pflicht, aber der Ausländer, der dem Lande, das er aus Wa[h]l dem seinigen vorzog, nüzlich ist, muß der Gegenstand der Liebe aller wahrer Patrioten sein.[40]
Der französische Autor, Auguste-Pierre Damiens de Gomicourt (1723–1790) hatte in den frühen 1780er Jahren aufgrund seiner radikalaufklärerischen Ansichten in die österreichischen Niederlande flüchten müssen.[41] Dieser Freund der Freiheit hatte kein Problem damit, den Sklavenhandel geradezu enthusiastisch zu loben. Damit traf er in Belgien auf eine große Resonanz. Hier war auch noch 1780 eine schwere Kränkung zu spüren, dass das Land 1730 die sogenannte Ostender Kompanie unter dem Druck der Seemächte hatte auflösen müssen.[42] Umso erfreuter war man nun über den intensiven Sklavenhandel unter der flämischen oder kaiserlichen Flagge. Der Stolz auf die flämischen Sklavenfahrten wurde auch von höchster Stelle geteilt. So wurde Romberg 1784 von Kaiser Joseph II., mit dem er auch persönlich befreundet war, der Titel des Freiherrn verliehen und dabei explizit auf diese Meriten verwiesen: „[E]ine große Anzahl [seiner Schiffe; MR] hat die Reise zur Goldküste und nach Guinea für den Negerhandel unternommen.“[43]
Diese Begeisterung für den Sklavenhandel war besonders in den österreichischen Niederlanden ausgeprägt. Auch auf dem weiteren Kontinent war dies allerdings noch nicht wesentlich anders. Zwar wurde der Sklavenhandel in Westeuropa seit den 1770er Jahren immer stärker in Frage gestellt. Jedoch blieb dies eine erst langsam stärker werdende Strömung. Viele Sklavenhändler konnten gerade in diesen Jahren auf eine erleichterte Nobilitierung hoffen und Adelige hatten wenig Hemmung, in dieses Geschäft zu investieren. Die Zeitgenossen sahen einen für die europäische Heimat vorteilhaften Handel, der besonders prestigeträchtige Produkte der Plantagen, also Kaffee und Zucker nach Europa brachte.[44]
Es stellt sich die Frage, ob hier neben dem deutschen Unternehmer an der Spitze auch weitere deutsche Akteure an diesen Sklavenunternehmungen beteiligt waren. Manches spricht dafür. So musste Romberg angesichts des urplötzlichen Schifffahrtsbooms von 1780 mehrere hundert Seeleute aus dem Königreich Dänemark anwerben, da sich in den österreichischen Niederlanden keine professionellen Mannschaften für den Fernhandel finden ließen.[45] Dass hierbei zu einem guten Teil Seeleute aus den Herzogtümern Schleswig und Holstein kamen, erscheint recht wahrscheinlich. Und auch weitere Implikationen sind deutlich ersichtlich. So waren deutsche Kapitalgeber bei der Firma zu jedem Zeitpunkt ihres Bestehens intensiv beteiligt.[46] Insgesamt überwiegt aber der Eindruck eines sehr europäischen Unternehmens, mit internationalen Mannschaften und Kapitalgebern.[47]
Im Jahr 1783 wurde die Firma nach Bordeaux verlagert und dabei auch in „Henri Romberg, Bapst & Cie.“ umbenannt. Der neue Teilhaber Georg-Christoph Bapst (1755–1821) war in Paris geboren, seine Mutter stammte aus der Pfalz. Ihr zweiter Ehemann war Johann Luis Friedrich Bachmann, der in Paris zusammen mit seinem Schwiegersohn Jakob August Bapst, dem Bruder von Georg-Christoph, das Bankhaus „Bachmann & Bapst“ leitete. Über Bachmann in Paris wickelte die Firma die meisten ihrer Wechsel- und weiteren Finanzgeschäfte ab.[48] Bapst leitete das Unternehmen nach dem Tod des eigentlich als Mitgesellschafter vorgesehenen zweiten Sohnes Friedrich Rombergs, dem 1784 in Bordeaux verstorbenen Henri Romberg, weitgehend in Eigenverantwortung. Bapst stimmte sich aber auch fortwährend mit seinen Hauptkapitalgebern in den österreichischen Niederlanden ab. „Henri Romberg, Bapst & Cie.“ gilt bis heute als ein besonders spektakuläres Beispiel eines Kolonialunternehmens. Durch intensiven Kapitaleinsatz, exklusive Lieferverträge mit Plantagenbesitzern und einem relativ starken Kommissionshandel konnte die Firma in Bordeaux binnen weniger Jahre zu einer der größten Reedereien vor Ort aufsteigen. In St. Domingo war die Firma mit zahlreichen Plantagen in engstem Kontakt und besaß selbst etwa 20 Stück. 1787 richtete die Firma eine eigene Filiale in St. Marc auf der Insel St. Domingo ein.
In seinen 1810 verfassten Erinnerungen hat Romberg sich in einer bezeichnenden Weise zum Sklavenhandel geäußert und dabei wohl auch intendiert, seinen Beitrag hierzu möglichst zu relativieren. Nachdem er betont hatte, dass die einzelnen Tochterfirmen alle unter einer eigenen Leitung standen, äußerte er sich in einer Fußnote zur Sklavenhandelsfirma in Gent:
Das Genter Haus hatte das Unglück, mit der Ausrüstung von neun Schiffen für die Goldküste, Guinea, Juda und Angola beauftragt worden zu sein, von denen vier für den Negerhandel für St. Domingo und Havanna bestimmt waren. Der Unterzeichnete [Romberg selbst; MR] widersetzte sich dieser Expedition, aber die Mitgesellschafter verhielten sich so geschickt, dass sie seine Zustimmung unter dem Vorwand erhielten, dass es sich nur um eine Kommissionshandelsangelegenheit handele, dass die eigene Firma nur zu einem Achtel hieran beteiligt sei und dass mehrere Unternehmer des Landes bereits größere Anteile an der Ausrüstung übernommen hätten. Weiterhin, dass die notwendigen Gegenstände bereits bestellt seien und dass die Anteile für drei Schiffe bereits gezeichnet wären.
Unser Unternehmen hatte sich dazu verpflichtet, vier oder fünf Schiffe des Unterzeichneten [Friedrich Romberg; MR] beizusteuern; die Hälfte ihres Wertes galt als Kapitalbeteiligung. Als die Unternehmungen begannen, hielten die Reeder, deren Leiter gerade verstorben war, sowie die weiteren Investoren ihre Gelder zurück, ein Teil von ihnen zog ihre Gelder unter verschiedenen Vorwänden ab; schließlich verblieb nur das Genter Haus voll engagiert. All diese unglücklichen Umstände führten zum Verlust von zwei Dritteln des Einsatzes und der Unterzeichnete verlor 2.300.000 livres.
Das erste Problem war, dass die Admiralität von Ostende durch elende Schikanen die Ausfahrt der ersten drei Schiffe verzögerte und diese durch Gegenwind gehindert den Hafen sechs Wochen lang nicht verlassen konnten. Ein Schiff verunglückte an der Küste bei Dünkirchen und eines auf der Rückfahrt bei der Insel Rhe. Der Frieden, der so bald geschlossen wurde und die Sterblichkeit unter den Negern verursachten den größten Verlust.[49]
Diese unerfreuliche Bilanz nach drei Jahren Investitionen und Aktivität im Sklavenhandel über Ostende erscheint übertrieben. Aus den Rechnungsbüchern der Firma und weiteren Dokumenten gehen solch hohe Verluste nicht hervor, wenngleich es derzeit schwierig ist, eine exakte Gewinn- und Verlustrechnung aufzustellen. Zu bedenken ist, dass Romberg seit 1788 von manchen Investoren in den Sklavenhandel wegen Gewinnunterschlagung verklagt wurde und daher 1810 auch weiterhin nach außen eine Verlustgeschichte darstellen wollte. Zudem wollte sich Romberg in dieser Zeit, als der Sklavenhandel geächtet worden war, wohl auch als eine Art von ‚Opfer‘ dieses Geschäfts darstellen. Die Tatsache, dass das Genter Handelshaus noch vor dem Frieden von Paris 1783 nach Bordeaux verlagert wurde, von dort aus bis 1791 den Sklavenhandel weiterbetrieb und dabei besonders stark auch Investitionen in die Plantagen St. Domingos vornahm, spricht aber sehr klar für eine Unternehmung, die Romberg in Brüssel offenbar fortzusetzen gewillt war. Allerdings sollte diese Entscheidung für Friedrich Romberg letztlich fatale Folgen zeitigen. Bereits 1788 geriet die Brüsseler Mutterfirma über ihr Bordelaiser Unternehmen in ernste Zahlungsschwierigkeiten. Das Investment in die Plantagen erforderte hohe Folgezuschüsse an Kapital und die kurzfristig zu machenden Erträge blieben weit hinter den Erwartungen zurück. Viele Verbindlichkeiten der Pflanzer in den Kolonien waren nicht eintreibbar und mussten auf die lange Bank geschoben werden. Es hätte eventuell alles noch für die Firma günstig ausgehen können, und 1790 zeigten sich auch Tendenzen von Gewinnaussichten. Mit dem großen Sklavenaufstand von 1791 in St. Domingo begann stattdessen rasch der endgültige Niedergang. Schlussendlich brachte das Engagement im Sklavenhandel für Romberg in Brüssel genauso wie für seine Mitinvestoren einen sehr hohen Verlust. Er schreibt dazu:
4.296.000 livres [gingen] durch die Revolution auf der Insel St. Domingo verloren. Als die Neger für frei erklärt wurden, massakrierten sie die Weißen und 60 reiche Plantagenbesitzer, Schuldner des Hauses von Henri Romberg Bapst et Cie, in Bordeaux, das 21 Teilhaber zählte: die meisten von ihnen fanden hierbei ihren Ruin.[50]
Romberg behauptet, dass er eigentlich nur mit einer recht geringen Summe hätte beteiligt sein wollen, aber sein Sohn sich von einem weiteren Geschäftspartner hatte überreden lassen, die genannten großen Summen in das Bordelaiser Unternehmen zu investieren, dessen Zusammenbruch einen Verlust von 34 Millionen livres für die internationale, hauptsächlich belgische und französische, aber auch die deutsche Geschäftswelt brachte. Romberg selbst hat den Sklavenhandel bitter bereut, da es ihn nicht nur ein Vermögen, sondern auch zwei Söhne gekostet hat. Beide sind im Alter von 22 Jahren in geschäftlicher Tätigkeit im Sklavenhandel gestorben, der genannte Henri 1784 in Bordeaux, Ferdinand-Louis-Adolphe 1787 in St. Domingo. Die Brüsseler Firma Rombergs bestand allerdings weiter und sie konnte sich – mit deutlich verringerten Umsätzen – noch viele Jahre behaupten. Im Kolonial-, See- oder Sklavenhandel hat sie sich allerdings seit 1791 nie mehr betätigt, das war auch durch die äußeren Umstände mit einem seit 1793 bis 1815 fast ununterbrochenen Seekrieg nicht mehr möglich. Als die Firma 1810 endgültig insolvent ging, war das noch eine Nachwirkung der großen Verluste aus dem Sklavenhandel und dem Kauf von Plantagen.
Rombergs Firmenimperium mit der großen Kolonialtochterfirma in Bordeaux erscheint wie eine besonders massive Ausprägung und Überspitzung der deutschen Verwicklungen in den Sklavenhandel. Der kometenhafte Aufstieg und der ebenso tiefe Fall können sinnbildlich für dieses Geschäftsfeld an sich gesehen werden. Dabei ist das intensive Engagement wohl gerade auch der gut organisierten Verbindung ins europäische Hinterland geschuldet, die Romberg als ein seit den 1760er Jahren besonders erfolgreicher Transitunternehmer aufwies. Die Betätigung des Westfalen Friedrich Romberg im Sklavenhandel hat auch Quellen zurückgelassen, die die bewusste Einkalkulierung des Verlustes von Menschenleben in den Organisationszentren der Firmeninhaber dokumentieren. Ein Teil einer solchen Kalkulation sei hier kurz vorgestellt.
In dieser Quelle sehen wir, dass die Firma „Romberg & Consors“ in Gent die Kosten für zwei Sklavenschiffe für den Transport von 440 „Negres“ kalkuliert. Diese sollten in St. Domingo für den Anbau von Indigo, Zucker und Kaffee eingesetzt werden. Dabei wird davon ausgegangen, dass von diesen 9 bis 10 % sterben werden, durch das Wort „perte“ verbrämt. Die Überlebenden 400 sollen pro Kopf 900 fl. (Gulden) einbringen, also einen Gesamtertrag von 360.000 fl. Der Tod von 40 Menschen wurde zwar – wie wir im obigen Zitat Rombergs gesehen haben – aus finanziellen Gründen bedauert. Ansonsten aber wurden die Sklaven wie eine Ware neben anderen aus Afrika (genannt werden Gummi arabicum, Elfenbein, Wachs und Goldpulver) betrachtet und so auch als unscheinbare Ziffer in den Kalkulationen behandelt – und ihr Verlust genauso als rein finanzielle Angelegenheit wahrgenommen. Bereut hat Romberg dieses Handeln nicht aus humanitären Gründen, sondern weil es zwei seiner Söhne das Leben gekostet hat und es ihm dermaßen große Verluste einbrachte, dass dadurch langfristig seine Firma ruiniert wurde.
IV. Der paradoxe Beitrag eines deutschen Finanzministers in Dänemark zur globalen Abolition
In gewisser Hinsicht ein Gegenbeispiel zu Romberg bietet ein anderer deutscher Kolonialhändler: Ernst Heinrich, Baron von Schimmelmann (1747–1831) war ein etwas jüngerer Zeitgenosse Rombergs, und er trat etwa zur selben Zeit wie dieser in den Kolonial- und Sklavenhandel ein. In Schimmelmanns Fall jedoch war es kein geschäftliches Neuland. Sein 1724 in Sachsen geborener Vater Heinrich Carl von Schimmelmann war 1782 gestorben und hinterließ dem 35-Jährigen neben dem Amt des dänischen Finanzministers und vielen weiteren Positionen im Regierungsapparat in Kopenhagen sein großes Firmengeflecht. Unter diesem Erbe, welches sich Ernst Heinrich mit seinen Geschwistern teilte, befand sich eine Flotte an Fernhandelsschiffen, die intensiv im Sklavenhandel beschäftigt war, und mehrere Plantagen in der Karibik mit 1.028 Sklaven sowie einige landwirtschaftliche Güter in Norddeutschland wie auch eine Waffenfabrik und eine Zuckerraffinerie. Mit seinem Firmenimperium war Schimmelmann der größte Plantagen- und Sklavenbesitzer in der dänischen Monarchie und auch im globalen Vergleich einer der kapitalkräftigsten Unternehmer seines Zeitalters. Im Gegensatz zu seinem äußerst geschäftstüchtigen und entscheidungskräftigen, aber auch wenig skrupelbehafteten Vater war Ernst Heinrich von den aufklärerisch-humanitären Idealen seiner Zeit erfasst und betrachtete daher den Sklavenhandel mit einigem Widerwillen. Bereits einige Jahre bevor Romberg für sein Engagement im Sklavenhandel geadelt wurde, schrieb Schimmelmann Briefe, die von Abscheu vor diesem Geschäft geprägt sind. Nichtsdestotrotz war und blieb er jahrelang einer der bedeutendsten Sklavenhändler seiner Epoche.[51]
In den späten 1780er Jahren geriet Schimmelmann in den Bann der britischen Abolitionismuskampagne. Einige der entscheidenden Schriften und Debattenbeiträge ließ er sich ins Deutsche übersetzen, und sie finden sich noch heute in seinem Nachlass. Schimmelmanns Briefe und Denkschriften dieser Jahre sind voll von Verbesserungsvorschlägen der Lage der Sklaven in den Kolonien. Er verfolgte auch genau, dass am 18. April 1791 im britischen Parlament ein Entwurf zum Verbot des Sklavenhandels mit 163 zu 88 Stimmen abgelehnt worden war. In den nächsten Jahren wurde es ihm ein besonderes Anliegen, dass Dänemark der Vorreiter des Verbots würde, womit er letztlich erfolgreich sein sollte. Allerdings traf er in der Regierung auf deutliche Widerstände – wie die Abolitionisten im britischen Unterhaus – und musste daher einige Überzeugungsarbeit leisten, bis er seine Reformen durchsetzen konnte.
Die Wandlung von einem der größten Sklavenhändler seiner Zeit zu einem Gegner des Sklavenhandels, der zugleich noch einer der mächtigsten Politiker einer wichtigen europäischen Macht war, bleibt bis heute ein Rätsel und macht das Faszinosum dieser Gestalt aus. Der bedeutendste Forscher zu Schimmelmann, Christian Degn, schrieb in einer Antwort auf eine Rezension zu seinem Buch, wie sehr ihn genau diese Frage in den Bann gezogen hat:
[H]ow did Denmark’s largest slave owner, one of the greatest slave owners of his time, find the system on which his wealth largely depended to be wrong and set about reforming it? How did he and his contemporaries tackle the matter, on what humanitarian and economic grounds, against what opposition, with what failures and with what successes? These questions involve fundamental problems of human existence and political conduct, problems as relevant today as they are historically. It is these I find so fascinating in the stuff of history although I have no patent answers to them.[52]
Bezüglich Schimmelmanns Motivation wurde bisweilen darauf verwiesen, dass diese auch aus der geringer werdenden Profitabilität des Sklavenhandels in den 1780er Jahren herrührte, als ein Jahrzehnt mit besonders intensivem Sklavenhandel zu Preissteigerungen für die Sklaven in Afrika und sinkenden Verkaufserlösen in der Karibik und Amerika führte.[53] Dem ist zweifellos zuzustimmen, doch ist Schimmelmanns Motivation komplexer. Besonders die hohen Todesraten auf den Sklavenschiffen und in den Kolonien nahm er als Sklavenhändler und Plantagenbesitzer intensiv wahr und verabscheute sie. Dass sie Verluste brachten, war aber dabei nicht das wesentliche Ärgernis. Aus seinen Privatbriefen an die engere Verwandtschaft geht hervor, dass er besonders von humanitären Motiven bewogen wurde, gegen den Sklavenhandel vorzugehen. Eine nicht mehr vom Sklavenhandel abhängige stabile Population von Schwarzen sollte unter anderem durch feste Ehebeziehungen zwischen Sklaven und deren Schutz durch die Kolonialherren herbeigeführt werden. In Kombination mit der Absenkung der Sterblichkeit der Schwarzen in den Kolonien durch weitere mildernde Maßnahmen würde, so seine Hoffnung, die Notwendigkeit zum Sklavenhandel von alleine schwinden. Auch daher sah Schimmelmann eine längere Übergangszeit vor, die noch zum Sklavenhandel genutzt werden konnte, um die Kolonien in den gewünschten Zustand zu versetzen.
Noch bevor die Haitianische Revolution zu einer massiven Beschleunigung der Vorbereitungen zum Sklavenhandelsverbot führte, begann Schimmelmann in Kopenhagen mit den entscheidenden Schritten. Im Juni und Juli 1791 beauftragte er eine Sklavenhandelskommission mit der Ausarbeitung eines Berichts und Vorschlägen für den dänischen Staat. Deren Ergebnisse konnte er von vornherein weitgehend steuern, indem er die Mitglieder der Kommission bestimmte und selbst dabei eine leitende Funktion einnahm. Die Opposition der am Sklavenhandel und Plantagenwesen interessierten Kreise wurde von vornherein ausgeschlossen und hatte kaum eine Chance, ihre Anliegen zu äußern. Schimmelmann konnte seine Stellung an der Spitze des Staatsapparats in einem Maße nutzen, wie es in Großbritannien zur selben Zeit schlichtweg undenkbar war.
Zwei Dokumente sind hier von besonderem Interesse und verdienen eine eingehendere Vorstellung. Einerseits das sogenannte „Pro Memoria“ Schimmelmanns vom 16. Juli 1791, andererseits der Bericht der Sklavenhandelskommission. Beide Texte sind auf Deutsch verfasst, was mit der auch im späten 18. Jahrhundert noch relativ hohen Bedeutung dieser Sprache in den dänischen Regierungskreisen zusammenhängt.[54]
Das Pro Memoria reflektiert die Gedanken, die sich Schimmelmann offenbar seit vielen Jahren zu dem Problem des Sklavenhandels gemacht hatte. Anfangs analysierte Schimmelmann, warum das Abolitionsgesetz im britischen Unterhaus gescheitert war, obwohl die Führer der beiden Parteien und große Teile der Öffentlichkeit dafür gewesen waren. Als wesentlichen Grund identifizierte er den bedeutenden Einfluss „derjenigen, die selbst Plantagen oder Forderungen in Westindien haben“. Auch sah Schimmelmann, dass bei einem zu raschen Verbot die Schäden die langfristigen positiven Effekte überwiegen könnten. Er benannte die hohe Sterblichkeit der Sklaven als ein fundamentales Problem der Plantagenwirtschaft und damit als Hauptgrund für die Notwendigkeit des Sklavenhandels. Zugleich sorgte der Sklavenhandel dafür, dass Afrika aufgrund des Handels mit Menschen keine Neigung zur Entwicklung von Gewerben erhält, denn: „Es scheint vortheilhafter und bequemer die Menschen selbst, als das Produkt ihres Fleisses und ihrer Arbeit umzutauschen. Jede Industrie und Production muß in ihrem ersten Keim erstikt werden und die Epoque der Wildheit, der Barbarei muß so lange als der Menschenhandel dauern.“[55]
Die Strukturanalyse ist grundlegend, allerdings stellt Schimmelmann die eigene Verantwortung hieran nicht eingehend heraus. Die Grausamkeit des Sklaventransports selbst ist für Schimmelmann nur die Folge der fatalen Grundstruktur. Diese ist ihm dabei vollauf bewusst: „Es ist unmöglich so eine grosse Anzahl Menschen von verschiedenen Geschlechtern und Altern viele Monate in einem Schiffsraum anzuketten, ohne ihren unzeitigen Tod und ihre unnatürliche Aufreibung, die Folgen der Reise durch Krankheit, Schwäche, Sorge, und Veränderung des Clima sind, zu veranlassen.“ Bei einer nur „mässigen“ Berechnung sieht er eine Todesrate von 30-40 %. Nach weiteren Erörterungen kommt er zu dem klaren Schluss:
Ich glaube also, daß nach kalter Untersuchung, nach der genauesten Prüfung, sich alle Meinungen darüber vereinigen werden, daß mit dem Sklavenhandel unvermeidliche Übel, Unterdrükkungen und Elend für die Menschheit im allgemeinen verbunden sind; daß dessen Abschaffung des Bestrebens eines weisen Gesezgebers würdig sei, und daß es die Pflicht eines jeden, der hierzu mitwiirken kann, seyn muß alles mögliche dazu beizutragen.[56]
Schimmelmann war jedoch zu sehr Unternehmer und Politiker, als dass er auf die Wirkung eines einfachen Verbots gesetzt hätte. Das würde so heftige Widerstände hervorrufen, dass der Gesetzgeber dieses Verbot entweder bald zurücknehmen müsste oder kaum die Kraft aufbringen würde, es über Jahre hinweg durchzusetzen. Schimmelmann wollte ganz im Sinne seiner Strukturanalyse das Problem an der Wurzel packen. Die Lage in Westindien musste verbessert werden. Damit die Pflanzer eine hinreichende Zeit zur Anpassung bekämen, sah er einen Übergangszeitraum vor, in dem der Sklavenhandel weiterhin erlaubt sein würde. Es folgen mehrere Seiten mit sehr detailreichen Überlegungen, wie man das Ziel möglichst ‚wirtschaftsfreundlich‘ und dadurch gegen möglichst geringe Widerstände erreichen könnte.
Insgesamt kann festgehalten werden, dass die Denkschrift einen hohen Reflexionsgrad aufweist. Humanistische Ideale werden hier von einem Politiker und Unternehmer abgewogen, und das Ziel einer Verbindung des ethisch richtigen mit dem wirtschaftspolitisch Nützlichen angestrebt. Beides war für Schimmelmann komplementär, nicht widersprüchlich. Langfristig war Schimmelmanns Ziel sogar die Abschaffung der Sklaverei in den Kolonien, womit er deutlich weiter ging als die britischen Abolitionisten, die zu dieser Zeit nur für die Abschaffung des Sklavenhandels kämpften.[57]
Als Resultat der Denkschrift wurde die oben erwähnte Kommission zur Abschaffung des Sklavenhandels eingerichtet. Schimmelmann bestimmte die Personen aus den höchsten Rängen der dänischen Staatsverwaltung weitgehend selbst. Gegner der Abschaffung des Sklavenhandels oder Vertreter der westindischen Pflanzer fanden sich hier nicht. Angesichts der 20-seitigen Denkschrift mit ihren detaillierten Vorstellungen war das Ergebnis der Kommission weitgehend bereits vorherbestimmt. Vom König wurde diese im August 1791 eingesetzt. Am 28. Dezember 1791 war der Bericht nach etwas mehr als vier Monaten fertig. Er umfasst in seiner handschriftlichen Fassung 102 Folioseiten, denen noch umfassende Anhänge beigefügt waren, die sehr detailreich über den dänischen Sklavenhandel und den derzeitigen Zustand der Kolonien informieren.
Der Bericht beginnt mit einer historischen Übersicht über den transatlantischen Sklavenhandel, dessen Anfang in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts durch die Portugiesen gesehen wird. Relativ rasch geht der Bericht auf die Abolitionismusdebatte in Großbritannien ein, deren Beginn mit den Werken von John Woolman und Anthony Benezet seit der Jahrhundertmitte angesetzt wird. Es folgt eine Strukturanalyse des Sklavenhandels, die die Argumente der Verteidiger desselben widerlegt. So stimmt das Gutachten zwar der Aussage zu, dass die Sklaverei an den afrikanischen Küsten verbreitet sei, jedoch hier, wo sie nur zur Hervorbringung „der nothwendigsten Nahrungsbedürfnisse in einem gewöhnlich höchst fruchtbaren Boden" geschah, "schwerlich so drükkend ist, wie in den amerikanischen Kolonien.“ Weiterhin wird der europäische Sklavenhandel als verheerend für die innerafrikanischen Beziehungen zwischen den Stämmen angesehen, da er nachweislich zu Entführungen und Kriegen Anlass gegeben hat. Die Schlussfolgerung ist eindeutig:
Es scheint unläugbar zu seyn, daß die Bekanntschaft der Europäer mit den Bewohnern der afrikanischen Küste für diese nichts als die übelsten Folgen gehabt hat. Man hat sie Bedürfnisse und Luxus gelehrt, die sie vorhin nicht kannten; man hat sie gelehrt diese Bedürfnisse auf Kosten jedes menschlichen und sittlichen Gefühls zu befriedigen; man hat sie den Gebrauch unsrer Waffen gelehrt, damit sie sich mit mehrerem Erfolge bekriegen und eine grössere Anzahl von Gefangenen herbeischaffen könnten. Dagegen hat man sie in der Unwissenheit alles dessen erhalten, was ihnen wahrhaft nüzlich hätte seyn können. Man hat nichts gethan um diesen einer gewissen Civilisirung sicherlich nicht unfähigen Völkern brauchbare Kenntnisse mitzutheilen; man hat sie nicht gelehrt in Gegenden, die den schönsten und fruchtbarsten Boden haben, Produkte zu bauen womit sie einen Handel treiben könnten, der ihnen ungleich wichtiger werden müste als dieser Menschenhandel, der ihre gesellschaftlichen Bande zerreist und Mistrauen und Unruhe unter diese Nationen bringt, die von der Natur durch Clima und Boden so vorzüglich begünstiget sind.[58]
Auf diese Zeilen folgt eine Abrechnung mit dem Sklavenhandel selbst, der in die Nähe von willkürlichen Morden gerückt wird.
Es folgen sehr ausführliche Überlegungen zu wirtschaftlichen Details der dänischen Kolonialbesitzungen in Übersee und den Möglichkeiten der Stabilisierung der kolonialen Strukturen. Dabei wird ein Panorama entworfen, das von einem dänischen Historiker als ein „politico-economic programme of 1791 for Danish West Indian-Guinean colonialism“ bezeichnet wurde.[59] Dem ist wohl zuzustimmen, der Schwerpunkt des weiteren Berichts der Guinea-Kommission lag auf den kolonialpolitischen Erwägungen und die Abschaffung der Sklaverei sah man als kongeniales Element einer Stabilisierung des dänischen Überseebesitzes. Humanitäre Erwägungen spielten hierbei eine bedeutende, aber letztlich doch sekundäre Rolle.[60] Es gilt aber dabei festzuhalten, dass Schimmelmann in seiner Denkschrift noch deutlicher die humanitären Gesichtspunkte hervorgehoben hatte. Das Zurücktreten solcher Elemente im Bericht der Guinea-Kommission, deren primäres Ziel die praktische Verwirklichung der Abschaffung des Sklavenhandels sein musste, mag daher einen leicht verzerrten Eindruck erwecken. Doch die Nuancen der einschlägigen Texte sind vielschichtig und zeigen immer wieder die humanitäre Motivation, die nicht als ein Widerspruch zu einer wirtschaftspolitischen Zielsetzung empfunden wurde. Es mag bezeichnend sein, dass der Schlussabschnitt des Reports das Ziel darin bündelte, der Menschheit mit einem guten Beispiel voranzugehen:
Es dürfte indessen doch des Anmerkens nicht unwerth seyn, daß Ewr. Königl. Majestät Entscheidung ohne allen Zweifel eine starke Sensation bei den Nationen, die sich wegen dieses Handels in gleichen Verhältnissen befinden, machen und vielleicht Wiirkungen hervorbringen wird, die glorreich für Ewr. Königl. Majestät und segenvoll für ganze Völker seyn würden.[61]
Dieser Ehrgeiz, im Namen der Humanisierung der Menschheit eine besondere Vorleistung zu bringen und damit in die Geschichte als erste Nation einzugehen, die den Sklavenhandel abgeschafft hatte, war ein wesentliches Antriebsmoment der dänischen Spitzenpolitiker. Auch hier sieht man eine Art ‚politischer‘ Motivation, also die Erhöhung des Prestiges Dänemarks auf der internationalen Bühne, aber eben doch nicht als reines Zweckkalkül, sondern in Form einer willentlichen Zusammenfügung des Nützlichen mit dem Erwünschten.
Als Ergebnis wurde das Verbot des dänischen Sklavenhandels nach einer zehnjährigen Übergangszeit beschlossen, die am 1. Januar 1793 beginnen sollte. Das Gesetz machte in der Tat einigen Eindruck vor allem auf Großbritannien. Dort waren die Abolitionisten in ihren Kommentaren zwar leicht enttäuscht aufgrund der zehnjährigen Übergangszeit, doch der grundsätzliche Tenor war derjenige einer hohen Wertschätzung und Anerkennung des dänischen Gesetzes.[62] Man mag in der Tatsache, dass die Abolitionisten in Großbritannien es auch in den nächsten Jahren nicht schafften, ein Gesetz mit einem früheren Stopp des Sklavenhandels durchzusetzen, eine Bestätigung von Schimmelmanns Art von Realpolitik – also der zehnjährigen Karenzzeit für den Sklavenhandel – sehen. Der Sklavenhandel unter dänischer Flagge war dennoch bereits ab dem 1. Januar 1803 illegal, in Großbritannien war dies erst ab dem 1. Mai 1807 der Fall.
Allerdings hatte die heftige Kampagne in Großbritannien mit der intensiven Politisierung der Öffentlichkeit eine nachhaltigere Wirkung als das relativ nüchterne und öffentlichkeitsferne Agieren der dänischen Politik. Als Dänemark von den Umwälzungen der napoleonischen Kriege voll erfasst wurde, verlor hier die Gruppe der an der Abschaffung der Sklaverei interessierten Politiker ihre Macht, und das Land wurde bezüglich der kolonialen Plantagenwirtschaft eher konservativ. Die Abschaffung der Sklaverei gelang in Großbritannien bereits 1833, in Dänemark erst 1848. Dennoch gehört der dänische Beitrag zur globalen Abolition zweifellos zu den bedeutenderen, und die in Kopenhagen verfassten, oben genannten Dokumente gehören auch aufgrund ihres teilweise deutschen Hintergrundes zur Geschichte der Verflechtungen des deutschsprachigen Mitteleuropas zur globalen Geschichte der Atlantischen Sklaverei – und ihrer Abschaffung.
V. Fazit
Eingangs wurde der Befund vorgelegt, dass in der gegenwärtigen Erinnerungskultur in Deutschland der Atlantische Sklavenhandel nur eine geringe Rolle spielt. Der Sklavenhandel der Brandenburger um 1700 ist zwar bekannter, wird aber durch seinen offensichtlich nur episodenhaften Charakter relativiert, und das gilt noch deutlicher für das Engagement der Welser in Venezuela im frühen 16. Jahrhundert.
Ein Grund für die geringe Beachtung der Verflechtungen des Alten Reichs in den Kolonial- und Sklavenhandel ist recht offensichtlich: Alle hier genannten Beispiele einer stärkeren Involvierung deutschsprachiger Akteure aus dem Alten Reich in die verschiedenen Aspekte des transatlantischen Kolonial- und Sklavenhandels finden sich an der Peripherie des Reichs und haben besondere Bezüge zu fremden Monarchien wie der dänischen oder der französischen. Im Grunde scheint ihnen gerade erst durch ihre Abwendung vom Alten Reich eine Aktivität im Sklavenhandel möglich geworden zu sein. Damit aber bliebe nur mehr das Phänomen von individuellen Sklavenhändlern, die eher zufällig aus dem Alten Reich stammten und durch ihre Emigration von Sachsen oder Westfalen in die Nähe der nordeuropäischen Gewässer gerade dessen Nicht-Verknüpfung mit dem Sklavenhandel eher verdeutlichen als widerlegen.
Doch eine solche Sicht würde just dem dem nationalstaatlichen Bezugsrahmen folgen, der in der gegenwärtigen Forschung immer stärker als Hindernis für weitergehende Erkenntnisse angesehen wird. Eine für neue Einsichten fruchtbarere Perspektive sollte wohl eher im Sinne der gegenwärtigen Schweizer Erinnerungskultur konzipiert werden. Gerade deren Sicht auf die indirekte Verwicklung erscheint besonders fruchtbar zum besseren Verständnis der Geschichte des transatlantischen Sklavenhandels. Die dichte Verflechtung Mitteleuropas mit der Atlantischen Kolonialwirtschaft, die über den Textilhandel und Kapitalbeteiligungen lief, war ein mächtiger und für das Funktionieren des Systems wichtiger Unterstrom, der bisweilen durch Akteure besonders fassbar wird. Julia Roth argumentiert in diesem Sinne für eine neue Perspektivierung der Kolonialgeschichte im Sinne einer „relational perspective which focuses on the entangled character of global interrelations“. Dabei sieht sie als Resultat klar, dass „German actors, ideas, and money formed an active part in colonialism since the sixteenth century“.[63] Es sei dabei noch angefügt, dass die deutsche ‚Nuance‘ im Sklavenhandel ihre eigene Besonderheit aufwies, auf die Michael Zeuske einmal hauptsächlich bezüglich deutscher Kolonial- und Sklavenhändler hingewiesen hat: „[Es] fällt doch auf, dass viele europäische Immigranten in dem anrüchigen Geschäft schnell zu Reichtum und Standing kamen.“[64]
Dieses ist erklärbar. Diese Personen hatten Zugriff auf ein ausgedehntes Hinterland mit protoindustriellen Strukturen und einem geringen Lohnniveau. Hier konnte man umfangreich Textilien einkaufen und Kolonialprodukte absetzen. Typischerweise war diese Verflechtung nur wenig sichtbar, da sie über Zwischenhändler ablief. So holten Hamburger Händler im 18. Jahrhundert massenhaft Kolonialwaren in Bordeaux ab und lieferten Textilien dorthin, die wiederum in die kolonialen Handelskreisläufe eingespeist wurden. Ähnlich sah dies beim britischen Kolonialhandel aus. Deutsche Akteure machen, salopp gesprochen, ‚nur‘ sichtbar, was eigentlich eine Säule des Kolonialhandels darstellte.
Die fehlende Erinnerungskultur hat auch den kuriosen Effekt, dass damit historisch interessante und komplexe Gestalten der deutsch-dänischen Geschichte ausgeblendet werden. Es sei darauf verwiesen, dass 2007 anlässlich der 200-Jahr-Feier der Abschaffung des Sklavenhandels große Festlichkeiten in Großbritannien stattfanden und daraus ein landesweites Event gemacht wurde. Nichts dergleichen fand sich in Deutschland oder Dänemark, obgleich hier die Abschaffung früher gelang. Die Tatsache, dass die Abschaffung ohne größere Debatte oder Widerstände durch enge Kopenhagener Hofkreise, relativ stark deutsch geprägt, geplant und durchgeführt wurde, verhindert wohl eine eingehendere Auseinandersetzung mit dem Thema in Dänemark. In Deutschland wiederum wird der Name Schimmelmann zu stark mit dem Sklavenhandel selbst verbunden, als dass man einen Träger dieses Namens und für lange Zeit eben auch aktiven Sklavenhändler und Plantagenbesitzer ernsthaft tiefer in den Kreis der erinnerungswürdigen Gestalten aufnehmen könnte. Das mag der historischen Gestalt vielleicht nicht ganz gerecht werden und dessen ‚Leistung‘ einer relativ konsequenten und eher selten von Brüchen, wohl aber Kompromissen gekennzeichneten Politik hin zur Abschaffung des Sklavenhandels mit dem Ziel der Abschaffung der Sklaverei durch einen der bedeutendsten Sklavenhändler und Plantagenbesitzer seiner Epoche leicht verkennen.
Die Unterschätzung des deutschsprachigen und mitteleuropäischen Beitrags zum Phänomen der Atlantiksklaverei ist in jedem Falle immer noch bemerkenswert. Auch das hat, wenn man so will, Tradition. Während in der Schweizer Geschichtswissenschaft bereits 1959 durch Herbert Lüthy das Konzept der faktisch schweizerisch-hugenottisch dominierten „Banque Protestante en France“ geprägt wurde und spätestens seither die Erforschung der Schweizer Internationalität so stark geworden ist[65], dass sie die Erinnerungskultur prägen konnte, verblieb es in der deutschen Forschung bei einer allgemeinen Ansicht einer gewissen Provinzialität der deutschen Geschichte vor der Revolutionsära. So formulierte noch 1987 Hans-Ulrich Wehler im ersten Band seiner Deutschen Gesellschaftsgeschichte:
Während die westlichen Staaten und Unternehmergesellschaften ihren Seehandel ausbauten, ihre Kolonialprojekte mit ungeahntem Erfolg realisierten, sogen sie auf Kosten der überseeischen Gebiete Reichtümer an sich, die einen ohnehin beneideten Wohlstand unablässig vermehrten. […] All diese Erfahrungen blieben den Deutschen jedoch, aufs Ganze gesehen, versagt. […] Vor allem fehlte deshalb auch der Anreiz zu institutionellen Neuerungen, wie sie etwa die Überseegesellschaften [...] darstellten, wie sie die Banken, die das Geschäft auf allen Weltmeeren finanzierten, wie sie die Kolonialunternehmen mit Schutzbriefen für die Landnahme jenseits des Atlantiks verkörperten. Als mindestens ebenso wichtig erwies sich, daß der Provinzialismus der binnendeutschen Mentalität nicht aufgelockert wurde. Es fehlte der weite Blick der Londoner und Amsterdamer Kaufleute, die Schulung an[...] weitläufigen Aufgaben, die Risikobereitschaft - der große Zug insgesamt wie er sich als weltoffene Urbanität in den Küstenstaaten der neuen atlantischen Welt ausbildete.[66]
Gegen eine solche Ansicht kann am besten ein Zitat eines berühmten deutschen Zeitgenossen des 18. Jahrhunderts gestellt werden. Friedrich Schiller, dessen exzessiver Kaffeekonsum bekannt ist, reflektierte die Globalität seines Zeitalters und auch des abgeschiedenen thüringischen Städtchens Jena recht klar in seiner Antrittsvorlesung an der dortigen Universität im Jahr 1789:
Selbst in den alltäglichsten Verrichtungen des bürgerlichen Lebens können wir es nicht vermeiden, die Schuldner vergangener Jahrhunderte zu werden; die ungleichartigsten Perioden der Menschheit steuern zu unsrer Kultur, wie die entlegendsten Welttheile zu unserm Luxus. Die Kleider, die wir tragen, die Würze an unsern Speisen und der Preis, um den wir sie kaufen, viele unsrer kräftigsten Heilmittel, und eben so viele neue Werkzeuge unsers Verderbens – setzen sie nicht einen Columbus voraus, der Amerika entdeckte, einen Vasco de Gama, der die Spitze von Afrika umschiffte?[67]
Die globalen Verflechtungen des Alten Reichs waren dem hellsichtigen Zeitgenossen als Konsumenten kolonialer Produkte genauso bewusst wie ihre historische Tiefschichtigkeit, und sogar eine Ahnung der Verstrickungen in die Praktiken ihrer Erzeugung mag man hier zwischen den Zeilen angedeutet finden. Dabei hatte der relativ wenig wohlhabende Schiller offenkundig kein Problem damit, sich als Teil einer kosmopoliten, gesamteuropäisch-amerikanischen Schicht von Profiteuren des Kolonialhandels zu sehen. Dieser Einsicht und gleichzeitigen Anregung von Schiller folgend spricht viel für eine eingehendere Einbeziehung des Alten Reichs in die geschichtswissenschaftlichen Debatten zur europäischen kolonialen Vergangenheit.[68]
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haben Sie vielen Dank für Ihren profunden Kommentar. Ich stimme Ihnen gerne zu und relativiere meine Aussagen zur BAC/BAAC an dieser Stelle ausdrücklich. Die Literatur ist natürlich noch umfangreicher und es wären noch mehr Titel anzugeben, so neben Adam Jones die Arbeiten von Jürgen G. Nagel und inzwischen auch Roberto Zaugg. Ich habe mich zum Thema BAC/BAAC bewusst zurückgehalten um andere Aspekte der Verflechtungen durch Schlaglichter hervorzuheben. Und in der Tat habe ich aufgrund der Menge an zur BAC/BAAC erschienenen Literatur in den letzten Jahrzehnten angenommen, dass das Thema relativ stark auf archivalischen Recherchen basierend erforscht ist. Dass die Arbeit von Stamm ein Plagiat ist, war mir tatsächlich nicht bewusst und ich bedauere das sehr. Ich hoffe daher künftig auf vertiefte und erneuerte Forschungen zur BAC/BAAC und freue mich sehr auf Ihre kommende Dissertation. Ich stimme Ihnen gerne zu, dass die alten Arbeiten von Westergaard und Schück bis heute in sehr vielen Aspekten unübertroffen sind (und beide lese ich bis heute immer wieder mit Gewinn, sie sind äußerst faktengesättigt). Das sollte uns ein wichtiger Ansporn sein, hier neue Standardwerke anzustreben. Es freut mich, dass Sie auf diesem Weg offenbar bereits ein sehr gutes Stück weit vorangekommen sind.
Mit freundlichen Grüßen
Magnus Ressel
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Dazu Leerstellen, wo man hinschaut: Wo ist die Rolle der afrikanischen Sklavenhändler und Stämme, ohne die das alles ja gar nicht funktioniert hätte, erwähnt? Wenn er schon den Bogen ins Heute schlägt - wo wird die Sklaverei von heute erwähnt? Nirgends.
Der Text an sich ist erneut ein Musterbeispiel, wie durch Auslassungen und willkürliche Zusammenstellung wieder einmal eine These in den Vordergrund gespült werden soll: die "Deutschen" (hier in Gestalt der Brandenburger) sind schuldig.
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Erlauben Sie mir darauf hinzuweisen, dass Ihre Ausführungen in Fussnote 9 nicht der wissenschaftlichen Wirklichkeit entsprechen. Sie schreiben "...so sind historische Arbeiten zum Engagement der Brandenburger im Sklavenhandel seit über 120 Jahren relativ zahlreich geblieben. Dementsprechend kann dieser Aspekt der deutschen Geschichte als besonders gut erforscht angesehen werden."
Dieser Ansicht ist entschieden zu widersprechen und zwar aufgrund meiner profunden Kenntnisse der vorliegenden Literatur (siehe z.B. meine Rezension des Werkes von Klosa in Zeitschrift für Weltgeschichte, Bd. 13.1. (2012), S.236-240) und zahlreicher Forschungsaufenthalte in verschiedensten Archiven, vornehmlich im Geheimen Staatsarchiv preußischer Kulturbesitz und im Stadtarchiv Emden. Zum Thema des brandenburgischen Sklavenhandels zwischen Afrika und Karibik liegt bis heute keine belastbare, d.h. auf Archivquellen beruhende, publizierte Arbeit vor, die die Teilforschung von Professor Jones (bis zum Jahr 1700), die Studie von Westergaard für Sankt Thomas und die uralte, ,aber doch noch immer unübertroffene voluminöse zweibändige Pionierstudie von Richard Schück 1889 übertreffen.
Die von Ihnen zitierten Sekundärquellen beruhen eben nicht oder nur in geringem Maße auf Archivalien. Man darf sich also von neueren Erscheinungsdaten nicht blenden lassen. Es ist ein Fehler zu glauben, dass Neue sei immer modern und relevant. Oft verfälscht es, wie jeder, der in Archiven Originale in der Hand gehalten hat, die exakt nachgewiesenen Daten in den Manuskripten und den genannten Pionierarbeiten und arbeitet mit völlig willkürlichen Schätzungen und Hochrechnungen.
Die von Ihnen genannte Doktorarbeit Malte Stamm, Das Koloniale Experiment. Der Sklavenhandel Brandenburg-Preußens im transatlantischen Raum 1680-1718, [Diss.-Manuskript, Univ. Düsseldorf] 2013: https://docserv.uni-duesseldorf.de/servlets/DocumentServlet?id=26169 [zuletzt besucht am 29.12.2020].ist ein Plagiat, der Doktortitel wurde bereits aberkannt seit 2016, so dass Ihre Angabe "zuletzt besucht am 29.12.2020 irrig ist bzw. Sie dies übersehen haben). Vgl. unter der von Ihnen angegebenen URL der Universität Düsseldorf. Bei der DNB ist ebenfalls die Aberkennung vermerkt:
https://portal.dnb.de/opac.htm?method=showFullRecord¤tResultId=%22Stamm%2C%22+and+%22Malte%22%26any¤tPosition=5
„Diese Publikation ist aus rechtlichen Gründen gesperrt. Ursprünglich als Dissertation veröffentlicht, Doktorgrad wurde am 26.01.2016 entzogen.“
Schließlich hat auch die FAZ dazu erhellend berichtet:
https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/umgang-mit-plagiaten-an-den-hochschulen-15863796.html
Bitte nehmen Sie sich, auch wenn es sich Ihrerseits sicherlich nur um einen bedauerlichen Flühtigkeitsfehler handelt, diese Kritik zu Herzen. Es schadet der ernst zu nehmenden Wissenschaft wenn sich solche ärgerlichen Plagiate verbreiten und so jene - vor allem jene geschädigten - Forschenden demotivieren, die noch an die Wirkungsmächtigkeit und den höheren Wert akademischer Titel glauben möchten. Wenn solche Plagiatsquellen in ansonsten fundierten Studien renommierter Wissenschaftler zitiert werden, entwertet dies jegliche seriöse Forschung, ja die Wissenschaft insgesamt.
Abschließend möchte ich betonen, dass es außer Frage steht, dass Ihre ansonsten sicherlich ausgezeichneten Forschungen, die ich gerade mit großem Interesse entdecke, sehr beeindruckend sind; zumal ich eben auch in Iserlohn aufgewachsen bin und seit 1986 die Geschichte von Brandenburg-Preußen in Mauretanien (1684-1721) intensiv erforsche und bereits dazu publiziert habe. Noch arbeite ich an einer Dissertation/Monographie dazu. Für Rückfragen und ggf. fruchtbare konstruktive Zusammenarbeit stehe ich gern zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Till Philip Koltermann, M.A./ Diplômé d'Etudes Africaines
koltermanntill@hotmail.com