Ziel nationalsozialistischer Politik war es nicht zuletzt, alle "reinrassigen" Deutsche zu der einen sogenannten Volksgemeinschaft zu gießen. Arbeit war einer der zentralen gesellschaftliche Bereiche, den es dazu neu zu organisieren galt. Ein weiterer, der eng mit den Organisationsformen der Arbeit verknüpft werden konnte, war der Sport in seiner Ausformung als Breitensport. Der Historiker Prof. Dr. Rüdiger Hachtmann vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam hat die Integration der Arbeitnehmerschichten in die nationalsozialistische "Volksgemeinschaft" untersucht und seine Ergebnisse zuletzt im Band "Sport und Nationalsozialismus" veröffentlicht. Wir haben ihm dazu unsere Frage gestellt.
"Nur durch Repression kann sich kein Regime auf Dauer halten"
L.I.S.A.: Herr Professor Hachtmann, Sie haben im Band „Sport und Nationalsozialismus“, herausgegeben von Prof. Dr. Frank Becker und Dr. Ralf Schäfer“, einen Aufsatz über den kommunalen Breitensport der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ publiziert. Bevor wir zu Einzelheiten kommen, was ist die leitende Fragestellung bzw. die zentrale These Ihrer Studie?
Prof. Hachtmann: Die „leitenden Fragestellungen“ zu formulieren ist weniger einfach, als man das vielleicht glauben mag. Das hängt auch damit zusammen, wie ich zu diesem Thema gekommen bin: Ich schreibe derzeit an einer Gesamtdarstellung der Deutschen Arbeitsfront (DAF), also der mitgliederstärksten und finanzkräftigsten Massenorganisation des „Dritten Reiches“. Zur DAF gehörte die NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ (KdF) als Suborganisation. Zentrale Aufgabe der Arbeitsfront, die mit Gewerkschaften nichts gemein hatte (und ja auch nicht „Arbeiterfront“ hieß) war die Integration der breiten Arbeitnehmerschichten in die nationalsozialistische „Volksgemeinschaft“. Vor allem die Industriearbeiterschaft stand den Nazis 1933 ja sehr distanziert bis feindlich gegenüber und hatte bis 1933 weit überwiegend SPD, KPD und auch das katholische Zentrum gewählt. Um die breite Arbeitnehmerschaft zu integrieren, musste das NS-Regime ihr auf der einen Seite die Möglichkeit nehmen, sich eigenständig artikulieren zu können, also Gewerkschaften, Parteien, aber auch Genossenschaften, Arbeitersportvereine usw. zerschlagen. Man musste andererseits aber auch positive Anreize setzen, sich zu integrieren. Denn nur durch Repression kann sich kein Regime auf Dauer halten. Diese positive Anreize zu setzen, war die zentrale Aufgabe KdF. Bekannt ist der Massentourismus von KdF. Weniger bekannt ist, dass KdF auch die Aufgabe hatte, den Betriebssport zu organisieren, und noch weniger bekannt ist, dass sich KdF auch des kommunalen Breitensports außerhalb der Betriebe und außerhalb der traditionellen Sportvereine annahm.
Daraus resultierten eine ganze Reihe grundsätzlicher Fragestellungen: Warum organisierte KdF seit Ende 1933 in großangelegten Dimensionen reichsweit, in allen kleinen und großen Städten und schließlich auch auf Dörfern, Sportkurse, die jedermann offen standen – während der Betriebssport von KdF erst ab 1936 in den Fokus genommen wurde? War der Sport in erster Linie zur Militarisierung der Gesellschaft gedacht? Oder war er ein – weiteres – Anreizsystem, die breite Bevölkerung in die neue NS-Gesellschaft zu integrieren? Was ist in diesem Zusammenhang von der nationalsozialistischen Phrase zu halten: „Wir“ ent-privilegieren den vornehmen Sport; bei „uns“ soll auch der „einfache Arbeiter“ reiten, Golf spielen, Ski fahren können usw. Weiter: Welche Rolle spielten rassistische und biologistische Zielsetzungen? Eine andere Frage war die nach Tradition und nationalsozialistischer „Innovation“. Da in Deutschland der „Turnvater Jahn“ und seine Bewegung immer eine zentrale Rolle gespielt habe, war meine Frage auch: Welche Rolle hat eigentlich dieser „Turnvater Jahn“ gespielt – als politisch-ideologischer Bezugspunkt und in der Praxis? Gestolpert bin ich dann außerdem darüber, dass Frauen deutlich mehr als fünfzig Prozent der Kursteilnehmer des kommunalen KdF-Breitensports stellten: Warum? Und: War das NS-typisch oder lag das im „Zug der Zeit“, war das also also vielleicht auch vor 1933 und nach 1945 zu beobachten?