Mit diesem Bericht möchte ich meine Erlebnisse auf dem Symposium „Ästhetik des Todes – Sterben und Ableben in der Kunst“ an der Alanus Hochschule in Alfter mit den Nutzern von L.I.S.A. teilen.
Interdisziplinäre Verbindungen zwischen einem BWL-Studium und dem praktischen Studium der bildenden- bzw. darstellenden Künste erscheinen für die meisten Menschen wahrscheinlich eher ungewöhnlich. Doch genau jene Interdisziplinarität ist eines der wesentlichen Anliegen der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter bei Bonn.
Referierend auf anthroposophisches Gedankengut und die Ideen ihres Namenspatrons Alanus ab Insulis – ein französischer Universalgelehrter des Mittelalters – ist die Hochschule auch heute noch stark dem humanistischen Bildungsideal verpflichtet. Daher stehen bei den Bachelor-, Master- und Diplomstudiengängen in bspw. bildender Kunst, Architektur oder BWL neben Fachwissen auch Interdisziplinarität, persönliches Engagement und gesellschaftliche Kompetenz im Vordergrund. In diesem Sinne soll im Studium Generale ein BWL-Student von der künstlerischen Kreativität sowie den „soft skills“ der Geisteswissenschaften profitieren. Gleichermaßen kann sich aber auch ein angehender bildender Künstler logistische und ökonomische Kompetenzen aneignen. Teil der Ausbildung sind deshalb die Inszenierungen von Theaterstücken ebenso wie die Ausrichtung von Ausstellungen, Tagungen und Symposien.
In diesem Jahr hatte ich die Ehre, zu einem solchen Symposium als Referentin eingeladen zu sein. Die von Prof. Dr. Günther Seubold und Dr. Thomas Schmaus organisierte Veranstaltung trug den Titel „Ästhetik des Todes – Sterben und Ableben in der Kunst der Modere“ und fand vom 17. bis 19. Juni 2011 statt. Dazu wurden Referenten aus ganz Deutschland eingeladen, um vor den Studenten und Mitarbeitern der Hochschule je einen ca. 45 minütigen Vortrag mit anschließender Diskussionsrunde zu halten.
Den Auftakt machten die Referate der Gastgeber sowie Prof. Dr. Günther Zöller aus München. Die Begrüßung und Einführung übernahm Prof. Dr. Seubold, indem er die Frage stellte, was überhaupt unter Ästhetik des Todes zu verstehen ist. Bereits an dieser Stelle zeigte sich die Polyvalenz dieses Themas, da es zahlreiche philosophische Annäherungen gibt. Für unser Symposium waren besonders Heideggersche Ideen von Bedeutung. In diesem Sinne sollte Ästhetik des Todes keine Verhübschung bzw. Verharmlosung sein, sondern eine Art Ontodizee, d.h. ein Versuch durch die Kunst als affirmative Kraft dem Leben einen Wert im Angesicht des durch den Tod verursachten Elends zu geben. Es wird dabei weder verdrängt noch negiert, sondern als Teil des Lebens in dieses integriert.
Dass dies auf ganz unterschiedliche Weise geschehen konnte, belegten die sich daran anschließenden Vorträge, die den Umgang mit jener Thematik bei verschiedenen Künstlern des 19. und 20. Jahrhunderts aus Musik, Literatur sowie den bildenden und darstellenden Künsten zeigten.
Der erste Vortrag von Prof Dr. Günther Zöller beschäftigte sich mit der Todesthematik im Werk Richard Wagners vor allem in „Tristan und Isolde“. Darin verspürte der Protagonist eine Sehnsucht nach dem Tod, welcher ihn aus der Zerrissenheit der Welt wieder in die metaphysische Einheit zurückführen sollten. Gleichermaßen wurde das dahinter stehende maßgeblich von Schopenhauer beeinflusste Gedankengut ausgiebig beleuchtet, woran sich in der Diskussion die Frage anschloss, inwieweit diese Todessehnsucht als modern zu bezeichnen ist.
Auch Dr. Thomas Schmaus beschäftigte sich in seinem daran anschließenden Referat mit dem „musikalischen Tod“ im Werk Gustav Mahlers. Jener Künstler gilt nicht nur musikalisch als Grenzgänger, sondern behandelte auch die Todesthematik auf sehr unterschiedliche Weise. Der Tod erscheint bei ihm ambivalent, was vor allem in den musikalischen Mitteln und wiederkehrenden Motiven zum Ausdruck kommt, die in zahlreichen Hörbeispielen aufgezeigt wurden.
Ebenfalls musikalisch begann die Vortragsreihe am nächsten Tag, an dem Dr. Egbert Hiller den Tod in der Musik von Alban Berg näher betrachtete. Dr. Hiller zeigte sehr ausführlich, dass in Bergs Ästhetik der Tod als Projektionsfläche für metaphysische Bedürfnisse fungiert. Er ermöglicht eine Art Weltflucht in die Sphäre des Unterbewussten und Überweltlichen, die sich gerade durch ihre Morbidität von romantischen Schwärmereien unterscheidet.
An jene Ausführungen schloss sich mein eigener Vortrag an, mit dem das Symposium die Welt der Musik verließ. Ich stellte verschiedene Formen der Visualisierung des Todes in der Malerei der Moderne an ausgewählten Werken von Arnold Böcklin, Edvard Munch und Max Beckmann sowie die dahinterstehenden Ideen vor. Der Tod erscheint in jenen Bildern in vielerlei Form, so z.B. als Sensenmann, Heiland und Femme fatale, wobei er von den einzelnen Künstlern sehr unterschiedlich aufgefasst und gewertet wurde.
Genauso unterschiedlich gewertet wurde der Umgang mit dem Tod in der modernen Performancekunst, welche Prof. Dr. Antje von Graevenitz in ihrem Referat präsentierte. Sie zeigte Beispiele, in denen der Tod liminal zwischen Kunst und Leben steht. Dabei warf sie besonders die Frage auf, was geschieht, wenn sich ein Künstler bei einer Performance mutwillig verletzt oder sogar zu sterben droht. In jenen Situationen wird der Beobachter notgedrungener Weise aus seiner Betrachterrolle herausgelöst, da er die vielleicht überlebenswichtige Entscheidung treffen muss, inwieweit das Beobachtete zum eigentlichen Kunstwerk gehört und/oder ob er eingreifen soll. Jene Art der Kunst fordert den Betrachter ganz massiv, schockiert, verstört und stellt nicht zuletzt die Frage nach dem Sinn und der Legitimation bestimmter Kunstarten.
Nach der sich anschließenden Mittagspause wurde die Ästhetik des Todes aus literarischer Perspektive betrachtet. Den Anfang machte Dr. Thomas F. Schneider, indem er die „Repräsentationen des Todes in der deutschsprachigen Literatur zum Ersten Weltkrieg“ vorstellte. Die literarische Sicht auf den Tod in Werken von bspw. Bruno Vogel oder Erich Maria Remarque wurde hier sehr stark von Seiten des Staates mitbestimmt, wobei Krieg und Tod oft stilisiert und idealisiert erschienen.
Im Anschluss an die folgende Kaffeepause – in der die Künstlerin Mary Bauermeister eindrucksvoll von persönlichen Erlebnissen und Berichten über Todeserfahrungen von Freunden sowie ihres Exmannes Karlheinz Stockhausen erzählte – referierte Prof. Dr. Herbert Anton über Todeserfahrungen und „Lebenserneuerung aus dem Geist“ in den Romanen Thomas Manns. In jenem philosophischen Vortrag stellte er fest, dass die bewusste Konfrontation mit dem eigenem Todesbewusstsein auch immer eine Konfrontation mit dem tiefsten eigenem Selbst ist, auf das sich der moderne Mensch oft nur schwer einlassen kann und will.
Nur allzu gern eingelassen haben wir Symposiumsteilnehmer uns hingegen auf die anschließende selbstproduzierte Inszenierung von Satres „Geschlossener Gesellschaft“, die Schauspielstudenten der Alanus Hochschule vorbereitet hatten. Auch jene bemerkenswerte Interpretation von Satres weltbekanntem Stück bestätigte seine Theorie, dass die Hölle die Anderen sind.
Gleichermaßen geistreich erschien Paul Celans morbide Ironie in seinen „Gewieherten Tumbagebeten“, die Prof. Dr. Klaus Manger am nächsten Vormittag präsentierte. Dabei gab der Dozent nicht nur einen Einblick in Celans unkonventionelles Gedicht – das „Totengedächtnis“ mit bissiger Ironie vereint, sondern zeigte auch ausführlich, wie sich der Interpret einem schwer verständlichen Text – der ein größeres Hintergrundwissen voraussetzt – annähern kann.
Nicht um Annäherung sondern um „Überwältigung“ ging es im folgenden Vortrag von Prof. Dr. Andreas Englhart, der über den Tod im (post-)modernen Theater referierte. In diesem geht es nämlich nicht mehr primär um Präsentation sondern um unmittelbare Präsens. Dies bedeutet, dass die Distanz zwischen Schauspiel und Betrachter so weit wie möglich aufgehoben wird, so dass dieser teilweise in das Stück einbezogen und vom Eindruck überwältigt werden soll. Dass jener Eindruck bei Inszenierungen, die sich mit dem Tod beschäftigten, besonders intensiv aber auch besonders unangenehm ist, versteht sich dabei von selbst, weshalb jene Stücke häufig sehr skandalös und kontrovers sind.
Ebenfalls kontrovers ist die Frage, wie sich die deutsche Museumskultur zum Thema Inszenierung des Todes verhalten soll. Darüber berichtete Prof. Dr. Reiner Sörries und zeigte die Vorbehalte auf, die mit jenem Problemfeld zusammenhängen. Da der Tod lange Zeit aus dem öffentlichen Bewusstsein „verbannt“ wurde, schienen die Museen als Chronisten der menschlichen Kultur oft vor große Herausforderung gestellt, wenn sie den Tod als unausweichlichen Teil des Lebens zeigen wollten. Besonders Fragen der Pietät und Achtung vor der Menschenwürde bestimmten hier immer wieder die Diskussionen.
Mit diesem Vortrag schloss das großartige Symposium, welches den Teilnehmern einen Einblick in die Ästhetik des Todes in unterschiedlichen Künsten der Moderne gab und dabei auch die Vielschichtigkeit und Kontroversen ebenso wie die Notwendigkeit der Auseinandersetzung damit aufzeigte. Auch wenn die Kunst dabei nichts am Tod als notwendigem Übel ändern kann, bietet sie dennoch sowohl für den Künstler als auch für den Betrachter die Möglichkeit einer kreativen und horizonterweiternden Auseinandersetzung mit diesem schwierigen aber unausweichlichen Thema.
Kerstin Borchhardt