In den vorangegangenen Beiträgen habe ich auf meine Herangehensweise an die Bearbeitung von schriftlicher Dokumentation und Zeichnungen und die dabei entstehenden Schwierigkeiten hingewiesen. Die Ergebnisse beider Arbeitsschritte will ich in diesem Beitrag zusammenführen und vorstellen, inwiefern CAD-Programme, die in der Archäologie häufig für die Auswertung von Vermessungsdaten aus aktuellen Grabungen verwendet werden, auch für die Aufarbeitung von Altgrabungen, für die solche Daten normalerweise nicht existieren, von immensem Nutzen sein können.
A little suffering is good for the soul
Teil 4 | Altgrabungen und Computer Aided Design
CAD steht für computer aided design/drafting, was durchaus ein sehr weitläufiger Begriff ist. Die Grundfunktion ist die Anfertigung technischer Zeichnungen als Konstruktionshilfe für reale Objekte jeglicher Art, oder sogar ganzer Gebäude. Vorwiegend werden solche Programme in Architektur, Maschinenbau, Produktdesign und verwandten Disziplinen verwendet. Je nach Software lassen sich hiermit maßgetreue 2D- oder 3D-Grafiken erstellen. Ein wichtige Unterschied zu anderen Grafikprogrammen[1] ist dabei die Betonung auf die Maßstäblichkeit der Modelle, die natürlich auch im Falle archäologischer Zeichnungen von großer Bedeutung ist.
Hier soll es nun vorwiegend um die Weiterverwendung der im vorigen Beitrag vorgestellten digitalisierten Profilzeichnungen gehen. Vektorzeichnungen lassen sich in von CAD-Software lesbare Linienzeichnungen übersetzen (in Form von bspw. .dxf oder (eingeschränkt) .dwg-Dateien), die dann (mehr oder minder) nahtlos in das CAD-Programm der Wahl importiert werden können[2]. Wie auch in den anderen Beiträgen soll dies keine Anleitung sein, sondern einen kleinen Einblick in die Ideen und den Nutzen dahinter geben.
Die Grundfläche meines Modells bildet eine auf die gleiche Weise digitalisierte Version des Steinplans der Grabung. Hierauf lassen sich die Profile an ihren korrekten Ort schieben. Alle Profile werden auf die gleiche und innerhalb des Modells korrekte Höhe gebracht und bilden so ein 3D-Modell der Schnittgrenzen und stratigraphischen Aufzeichnungen, wie sie sich aus den Profilen ablesen lassen. Das Ergebnis ist im hier angefügten Video zu sehen. (Aus Gründen der Übersichtlichkeit sind dort nur wenige der vorhandenen Profile eingeblendet.)
Obwohl mir eine Schnittskizze zur Verfügung stand, gestaltete sich das hier so einfach beschriebene Verfahren aber leider doch als etwas schwieriger als zunächst erhofft. Die Skizze war in der Tat nur eine Skizze und von ihr lies sich nicht immer die genaue Positionierung der Schnitte im Grabungsareal ablesen. Aus dem Steinplan ging zwar hervor, was im Laufe der 5 Jahre alles ein mal freigelegt worden war, aber auch hier war nur in den seltensten Fällen der eigentliche Schnittverlauf angegeben.
„It's like a jigsaw puzzle all one colour. No key to where the pieces fit in. Why?“[3]
Eine zugegeben langwierige und bisweilen peinliche genaue Detailarbeit schloss sich an, die an einigen Tagen etwa so frustrierend war, wie ich mir ein einfarbiges Puzzle vorstelle. Durch den Abgleich aller Zeichnungen und Fotos sowie der Angaben im Grabungstagebuch konnte ich die Profile zumeist anhand der Mauerverläufe oder anderer imaginärer Fixpunkte an die korrekten Stellen schieben. Die Höhe der jeweiligen Profile habe ich an den im Abstand von jeweils maßstäblich einem Meter eingezeichneten horizontalen Linien auf den Zeichnungen bestimmt. Die Details der Platzierung waren dann häufig vom Verhältnis der Profile untereinander abhängig: Wenn ein Schnitt in zwei Profilen erfasst war, dann musste es eine nachvollziehbare Überschneidung geben, die Schnittgrenzen mussten sich genau kreuzen, oder Mauerecken mussten in beiden Zeichnungen vorhanden sein, gleichzeitig durfte das Ergebnis des Abgleichs aber auch nicht vom zugrundeliegenden Steinplan abweichen.
Über solche Angelpunkte konnte ich am Ende 23 von 24 Profilen erfolgreich zu einer 3D-Version der Grabung zusammenführen – einzig ein sturer Einzelgänger will sich beim besten Willen nicht identifizieren lassen. Meine zeitweilige Frustration mit dem iterativen Korrigieren der Positionierung wurde letztlich durch die große Freude über das Ergebnis gelindert: die Müller-Wiener‘schen Zeichnungen sind so präzise und konsequent, dass sich Schichten in den Ecken der Schnitte auf etwa der gleichen Höhe treffen, ohne dass ich diese jemals als Fixpunkte in Betracht gezogen hätte.
Spock: „[…] But I've never stopped to look at clouds before. Or rainbows. You know, I can tell you exactly why one appears in the sky, but considering its beauty has always been out of the question.“[4]
So zufriedenstellend es ist die getane Arbeit zu bewundern, möchte ich doch gerne noch darauf zu sprechen kommen, warum genau diese Herangehensweise nun sinnvoll ist. Das Modell macht auf eine sehr plastische Art und Weise für mich als Bearbeiterin die ganze Grabungstätigkeit im Gebiet der Michaelskirche sehr viel erfahr- und erfassbarer. Für mich, die ich zur Zeit der Grabung nicht ein mal existiert habe, ist ein solches Modell die beste Möglichkeit die Zusammenhänge der Grabung in ihrer Gesamtheit wahrnehmen zu können – vielleicht abgesehen von einer Zeitreise, die mir allerdings weder zur Verfügung steht, noch besonders zu empfehlen wäre, wenn man die Erfahrungen diverser Sternenflottenoffiziere als Parabel auf die philosophischen Tücken solcher Vorhaben verstehen möchte.
„Time travel. Since my first day on the job as a Starfleet captain I swore I'd never let myself get caught in one of these godforsaken paradoxes - the future is the past, the past is the future, it all gives me a headache.“[5]
Auch abseits des abstrakten Begriffes der subjektiven ‚Erfahrung‘ bietet das Modell mit den an- und durcheinanderlaufenden Profilen die Möglichkeit, Schichtverläufe über das gesamte Grabungsareal hinweg nachzuvollziehen und die Zusammenhänge von Befunden und Strukturen überhaupt erst sichtbar zu machen. Schichtverläufe und Mauern können innerhalb des Modells beispielsweise auch als tatsächliche und sichtbare Polygone angelegt werden, was ganz nebenbei die die Rekonstruktion des Verlaufs in bisher nicht ergrabenen Bereichen erheblich vereinfacht.
So bringt das Modell Ordnung und Übersichtlichkeit in die große Menge unterschiedlicher (analoger!) Zeichnungen und Daten, die im Laufe der Grabung erstellt und erfasst wurden, ohne dass man verzweifelt von Plan zu Plan und Profil zu Profil blicken muss und den Schreibtisch mit Papierstapeln von Zeichnungen und Notizen überfüllt (auch hier: „it all gives me a headache!“), und archiviert als einzelne Datei die gebündelten Informationen der gesamten Grabung. Ein weiterer kleiner Bonus: Als Maßgrundlage der CAD-Datei dienen sowohl das globale UTM-Koordinatensystem als auch ein lokales Vermessungssystem. Anhand der Eckpunkte der Insulagrenzen habe ich die Zeichnungen in die Koordinatensysteme eingehängt und nun haben erstmals alle aufgezeichneten Steine und Befunde messbare Koordinaten[6], obwohl zur Zeit der Grabung kein dazu geeignetes Vermessungsgerät verwendet wurde.
Neben den zahlreichen käuflich zu erwerbenden CAD-Programmen, deren Werbebudget eine Nennung auf dieser Seite sicherlich überflüssig macht, gibt es einige OpenSource-Lösungen für den kleinen – oder auch: nicht vorhandenen – Geldbeutel. QCad (auch als proprietäre Verkaufsversion erhätlich) oder dessen Derivat LibreCAD sind beispielweise stabile Varianten mit großes Funktionsumfang, bei denen jedoch leider die Möglichkeit zur 3D-Darstellung fehlt. Diese wird wiederum vom ebenfalls freien aber etwas rustikalen FreeCAD geboten. Es gibt im Grunde CAD-Programme wie Sterne am Himmel: Es sind viele und von weitem sehen sie alle ungefähr gleich aus. Wikipedias Liste der CAD-Programme enthält zum Zeitpunkt meiner Zählung 205 Einträge – mit ein wenig Geduld und Ausprobieren lässt sich also sicherlich für jeden Geschmack etwas finden.
Chekov: „Are there any other possibilities?“ Spock: „There are endless, Mister Chekov.“[7]
Die in dieser Reihe aufgezeigten Möglichkeiten sind natürlich nicht die einzigen Wege, sich der Aufarbeitung einer Altgrabung zu widmen. Ich hoffe dennoch vielleicht der ein oder anderen Person ein paar Anregungen oder Ideen gegeben zu haben und gezeigt zu haben, dass auch Archivmaterial sehr viel zu bieten hat, und dass ein bisschen Leid und Fleißarbeit einen langen Weg gehen und, naja, gut für die Seele sind. – A little suffering is good for the soul.
A little suffering is good for the soul – Die Aufarbeitung von ‚Altgrabungen‘
In der Artikelreihe 'A little suffering is good for the soul' werden Methoden und Möglichkeiten zur Aufarbeitung von Altgrabungen vorgestellt. Bei allen Beispielen beziehe ich mich auf meine eigene Arbeit zum Dionysosheiligtum von Milet, die die Aufarbeitung der Ausgrabungen durch den 1991 verstorbenen Bauforscher Wolfgang Müller-Wiener umfasst. Mein Dissertationsprojekt mit dem Arbeitstitel „Ein Heiligtum des Dionysos in der Sakrallandschaft von Milet“ wird seit 2018 von der Gerda Henkel Stiftung gefördert. Folgende Artikel bieten jeweils einen kurzen Einblick in das methodische Vorgehen und die Möglichkeiten, die die computergestützte Auswertung einer Altgrabung bietet: