Mittags kam die Nachricht, dass unser Corps nach Russland geht. Der Rückmarsch beginnt heute. Below liess mich Wege durch die Stadt für die zwei entgegengesetzten Colonnenzüge abstecken. Beim Markt an der Brandstätte plünderte die Menge einen Schuhwarenladen. Ich ging mit einem Soldaten hinein, schmiss die Leute, hauptsächlich Weiber, hinaus und stellte einen Posten vor die Tür. Sie sagten: on croyait que c’etait permis. Sie sahen, wie unsere Soldaten die Weinflaschen aus den Kellern der verbrannten Häuser forttrugen. Diese Art von Krieg hebt alle Rechtsbegriffe auf. Die Waschfrau des Hotels, eine alte, biedere Person, hat Paul erzählt, drei Offiziere hatten ihr Last Auto weggenommen. Ich liess sie kommen. Sie legte mir die Quittung für das Auto vor, das sie sich im Juli gekauft hatte aus ihren sicher sauer erworbenen Groschen: 11 5000 francs. Die Offiziere haben sie durch ihren ganz sinnlosen Gewaltstreich ruiniert. Below die Sache vorgetragen, der Remedur versprach - In der Stadt den Unteroffizier Wermard von meiner Kolonne getroffen, der mir erzählte, die Kolonne sei gestern Abend um 9 1/2 beim Durchreiten durch Namur aus den Fenstern des Priestserseminars an der Sambre beschossen worden, etwa zwanzig Schüsse, von denen einige durch die ein Wort Lücke durchschossen sind. Ich raffte zusammen was ich auf der Straße an Soldaten finden konnte (etwa zehn Mann), besetzte das Seminar, durchsuchte es und verhaftete Alles was ich darin vorfand. Die Priester erklären mir, wenn Schüsse gefallen seien, so könnte es nur Gesindel sein, das sich in ihren Bauten eingeschlichen und von dort geschossen habe. Nachgewiesen ist Nichts. Below befahl, zur Einschüchterung sie noch 24 Stunden in ihrem Seminar eingeschlossen zu halten. In der ganzen Stadt sind in den Häusern überall Schiessscharten angelegt. Die Bewohner haben sich also von vornherein auf diesen heimtückischen Strassenkampf vorbereitet. Auch viel belgisches und französisches Militär in Civil treibt sich noch herum.
26 VIII Namur (Forts.)
Tagebucheintrag Harry Graf Kessler
CC-BY-SA 3.0, Helmut Reitspiess (Europeana 1914-1918)