Kentauren, Satyrn und Sirenen, alles Mischwesen aus Mensch und Tier, bevölkerten die Vorstellungswelt der Menschen in der Antike. Heute würde man diese Hybridwesen wahrscheinlich als Monster bezeichnen, ohne dass das zwangsläufig pejorativ gemeint wäre. Denn auch in Sujets der Moderne und Postmoderne taucht das Motiv des Anthropomorphen in den verschiedenensten Ausprägungen wieder auf. Die Kunsthistorikerin Dr. Kerstin Borchhardt hat im Rahmen ihrer Dissertationsarbeit den Umgang mit exzentrische Mischwesen im Werk des Schweizer Malers Arnold Böcklin erforscht. Wie hat der Künstler des 19. Jahrhunderts Tritone, Pane und andere "Monster" motivgeschichtlich verarbeitet und die Diskurse seiner Zeit darin ausgedrückt? Diese und weitere Fragen haben wir ihr zu ihrem Buch "Böcklins Bestiarium" gestellt.
"Tiefere Sinnschichten hinter der exaltierten Form solcher Mischwesen"
L.I.S.A.: Frau Dr. Borchhardt, Sie haben in Ihrem Dissertationsprojekt über das Werk des Schweizer Malers Arnold Böcklin geforscht, konkret über die in seinem Werk immer wieder auftauchenden Mischwesen aus Mensch und Tier. Nun ist Ihre Arbeit unter dem Titel "Böcklins Bestiarium" erschienen. Bevor wir auf Ihr Projekt im Einzelnen zu sprechen kommen, was hat Sie zu Ihrem Thema geführt? Wie erklärt sich Ihre Faszination für anthropo-zoomorphe Hybride?
Dr. Borchhardt: Mischwesen wie Zentauren oder Tritonen waren für mich schon immer ein Herzblutthema. Bereits als Kind habe ich sowohl die alten Mythen als auch verschiedene Medien des Fantasy- und Science Fiction-Genres verschlungen. Während des Studiums kam zu diesem anfänglich wahrscheinlich eher ästhetischen Interesse auch die Neugierde hinzu, welche Bedeutungen bzw. tieferen Sinnschichten sich hinter der exaltierten Form solcher Mischwesen verbergen. Wie z.B. die Höhlenmalereien in Lascaux oder Pech Merle zeigen, zählen hybride Geschöpfe seit den prähistorischen Ursprüngen der Menschheit zum festen Bildpersonal der visuellen Medien. Selbst die bereits in der griechischen Antike einsetzende Mythenkritik von Platon oder Aristoteles – bei der mythische Zwittergeschöpfe ins Reich der Phantasie verbannt wurden – tat ihrer Popularität in der Kunst bis heute keinen Abbruch. Diese Persistenz spricht dafür, dass viele Hybride trotz oder vielleicht gerade aufgrund ihrer irrealen Natur durch die Geschichte hindurch einen wichtigen Platz in zahlreichen Kulturen einnehmen.
In meiner Dissertation wollte ich diesem Phänomen genauer nachgehen. Aufgrund der enormen Vielfalt an hybriden Formen, die die Mythen verschiedener Zivilisationen durchgeistern, wäre der Anspruch auf einen auch nur ansatzweise vollständigen Überblick natürlich illusorisch. Stattdessen habe ich meine Untersuchungen auf einen modernen Künstler konzentriert, in dessen Mischwesen-Bildern zahlreiche seit der Antike behandelte Problemfelder um anthropo-zoomorphe Figuren aus der griechisch-römischen Tradition zusammenlaufen.