AbsolventInnen geisteswissenschaftlicher Disziplinen ist die Frage "Und was machst du jetzt mit deinem Studium" in der Regel nur zu gut bekannt. Um eine Berufsorientierung bereits im Studium zu stärken und ehemaligen Studierenden den Übergang von der Universität in das Berufsleben zu erleichtert, wurde im Rahmen des Deutschen Archäologen-Verbandes e.V. die Arbeitsgemeinschaft "Wissen schafft Karriere" gegründet. In einem Interview haben wir mit dem Sprecher der AG, Martin Streicher, über seinen persönlichen Berufsweg, typische Fragen der Studierenden und was er diesen rät gesprochen.
"Von vielen AbsolventInnen werden fachbezogene Stellen in der Archäologie angestrebt"
L.I.S.A.: Herr Streicher, Sie sind Sprecher der neu gegründeten Arbeitsgemeinschaft „Wissen schafft Karriere“. Was ist das Ziel dieser AG?
Streicher: Ziel unserer AG des Deutschen Archäologen-Verbandes e.V. ist es, die Bedeutung der Berufsorientierung in den archäologischen Fächern bereits während des Studiums zu stärken. Wir betrachten hierbei die verschiedenen Berufsfelder, unabhängig davon, ob sie fachlich, fachnah oder fachfern sind, als gleichwertige Karriereoptionen für AbsolventInnen der archäologischen Disziplinen.
Unsere Zielgruppen sind zum einen die Studierenden selbst, denen wir eine frühzeitige berufliche Orientierung, auch außerhalb des in vielen Fällen gut bekannten universitären Rahmens, ermöglichen wollen. Zum anderen möchten wir StudienberaterInnen und Dozierende für das Thema der Berufsorientierung sensibilisieren. Aktuell bieten wir zwei Workshops an, die speziell auf die jeweilige Gruppe zugeschnitten sind. Des Weiteren planen wir die Bereitstellung von Materialien mit Informationen, Bibliographien sowie Vorstellung von Beratungs- und Veranstaltungsformaten.
L.I.S.A.: Warum ist es grade für AbsolventInnen der archäologischen Disziplinen wichtig, eine Berufsorientierung frühzeitig in Angriff zu nehmen?
Streicher: Das Studium eines archäologischen Faches wird häufig nicht wegen Karriere- und Verdienstmöglichkeiten begonnen, sondern aufgrund einer großen Leidenschaft zur Thematik. In der Folge werden von vielen AbsolventInnen häufig sehr stark fachbezogene Stellen in der Archäologie beispielsweise an der Universität oder im Museum angestrebt.
Doch nur die wenigsten von ihnen arbeiten später tatsächlich als ArchäologIn. Selbst mit einem sehr guten Studienabschluss ist der Verbleib in den archäologischen Disziplinen nicht garantiert. Es herrscht eine deutliche Diskrepanz zwischen der Anzahl an AbsolventInnen (auf allen Stufen) und Vakanzen im Fach. Deshalb können mitunter auch sehr engagierte AbsolventenInnen nicht im Wissenschaftsbetrieb weiter beschäftigt werden, was häufig – in meinen Augen irrtümlich – als persönliches Scheitern empfunden wird. Dass es sehr erfüllende Berufe auch außerhalb der Archäologie gibt, die häufig mit sichereren, unbefristeten und besser bezahlten Beschäftigungsverhältnissen einhergehen können, wird von vielen erst sehr spät wahrgenommen. Eine frühzeitige, studienbegleitende Berufsorientierung ermöglicht den Studierenden ihr Studium auf ihre individuellen Karrierewünsche anzupassen - eine Option, die nach dem Studium deutlich eingeschränkter ist.
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Freue mich auf jeden Besuch!
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Es tun sich nach dem Studium andere Fragen auf, als "was will ich?".
Es geht mehr darum, wo man überhaupt hin kann? Wie soll man bei schlecht bezahlten, befristeten Jobs ein Familie haben können? Kann man sich ein 2. Standbein schaffen und dennoch Archäologe bleiben? Gibt es dafür Vorbilder?
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https://lisa.gerda-henkel-stiftung.de/archaeologiestudium_und_dann_berufsorientierung_in_der_studienberatung_archaeologischer_faecher?nav_id=7553
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https://www.beruf-archaeologie.dguf.de/
Was muss sich ändern, damit das Berufsfeld „Archäologie“ funktioniert. Prima, dass der DArV hierfür eine AG hat...aber nicht nur die Studenten wollen ohne Existenzangst in die Zukunft blicken.
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Die Sorgen um Studierende und Absolventen wirken, meines Erachtens, größtenteils fadenscheinig. Wer einen Einblick in den universitären Alltag der Archäologie hat, weiß, dass Projekte nur damit umgesetzt oder gestemmt werden können, wenn engagierte Studierende mit schlecht bezahlten HiWi-Jobs oder entgeltfreien Prakika beschäftigt werden. Dies wird als lukrative Zusatzausbildung angepriesen und man gaukelt den Studenten vor, dass man dadurch eine Chance auf eine tolle Anstellung in der Archäologie besitzt. Studierende, welche kein Glück mit einer HiWi-Stelle haben, werden keineswegs anständig bzgl. einer Karriere außerhalb der Wissenschaft beraten. Herr Streicher hat das Schlagwort bereits genannt, was viele mit einer Karriere außerhalb der Universität oder dem Museum assoziieren: "Grabungsfirma". Dies resultiert darin, dass den Beratungsjob oft die Universitäten selbst übernehmen. Diese Career-Service Zentren haben aber zumeist garkeine Ahnung, welche Qualifikationen einen Archäologen ausmachen. Ich selbst habe schon Studienberater erlebt, welche gänzlich von der Archäologie abgeraten haben, da es eine Sackgasse sei.
Dies zeigt mir, dass das Problem nicht hauptsächlich an der Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage liegt. Ich sehe vielmehr die Schwierigkeit, dass die gesamte Archäologie einen Wechsel im System benötigt. Man müsste die Studierenden breiter ausbilden, antike Strukturen abschaffen (auch wenn man sich deren Studium widmet) und endlich im 21. Jahrhundert ankommen. Angestaubte Hierarchien, welche in anderen Disziplinen vor Jahrzehnten beseitigt wurden, existieren bis heute in der Archäologie und schaden dem ganzen Fachbereich. Studierenden und Absolventen fehlt es meist an den notwendigsten "basic skills" unserer Zeit (grundlegende EDV-Kenntnisse, Betriebswirtschaftliche Grundlagen, etc.). Professoren müssen endlich einsehen, dass man Studierende auch hinsichtlich Öffentlichkeitsarbeit, Projektmanagement, Betriesbwirtschaftliche Grundlagen und Informatik ausbilden muss. Es müsste zudem mehr nach außen gearbeitet werden. Der DArV soll nicht nur Diskussionsforen anbieten sondern auch Fachmessen, Jobmessen, etc. Der Fachbereich muss sich endlich attraktiver an staatliche Institutionen und an den privaten/wirtschaftlichen Sektor verkaufen. Mit einer reinen AG "Wissen schafft Karriere" wird sich, meiner Meinung nach, erneut keine Verbesserung, geschweige denn Veränderung zeigen. Bereits in anderen Belangen hat sich der DArV dahingehend als eingerostet und verstaubt präsentiert (Berufsverband, Wissenschaftszeitvertragsgesetz).
Abschließend hoffe ich dennoch, dass Herr Streicher mit seiner AG Erfolg haben wird. Trotzdem möchte ich an ihn appelieren, dass die ganze Diskussion nicht nur auf die Studierenden oder Absolventen abgeladen wird ( Stichwort: "was will ICH"). Ich persönlich nehme das Lehrpersonal und die Institutsleiter verstärkt in die Pflicht. Diese tragen definitiv Mitschuld an der Situation des Arbeitsmarktes. Würde man die Studierenden offener und gemäß den wirtschaftlichen und technischen Anforderungen des 21. Jahrhunderts ausbilden, würde sich vielleicht oft die Frage "Was kommt nach meinem Studium?", garnicht erst stellen. Außerdem wäre ein verstärktes und gemeinsames Auftreten in arbeitsrelevanten und politischen Fragen wünschenswert (teilweise sprechen die archäologischen Disziplinen nichtmal im Hause untereinander).
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