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Bevor ich mich mit den Adressbüchern und den Eintragungen zur Morgensternstraße beschäftigt habe, sind mir die Worte meiner Mutter, die in der nahen Holbeinstraße eine Modellhut-Atelier führte, in Erinnerung gekommen. Sie erzählte mir irgendwann einmal, es dürfte Ende der 1960er Jahre gewesen sein, dass in einem der Schillerschule gegenüber-stehenden Haus, der Schauspieler und Regisseur Bernhard Wicki gewohnt habe. Ich habe jedoch in den von mir ausgewerteten Nachkriegsjahren weder seinen Namen noch den seiner Frau, Agnes Fink, gefunden. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass er oder beide zeitweise dort eine Wohnung genommen hatten. Eine große Überraschung wäre es aber nicht gewesen, da es ja nur eines kurzen Spaziergangs über die Untermainbrücke bedurft hätte um zu den Städtischen Bühnen zu gelangen. Im Malerviertel hatte zudem bereits eine ganze Reihe von darstellenden Künstlern Wohnungen gemietet. Ob Agnes Fink einmal Kundin meiner Mutter war, wie beispielsweise die Schauspielerinnen Inge Meysel, Carola Horn, oder die Ehefrau des beliebten Frankfurter Schauspielers Karl Luley, kann ich nicht berichten.
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Das auffälligste Gebäude in der, an der Kreuzung zur Schneckenhofstraße, abknickenden Morgensternstraße, war und ist die Schillerschule. Eine im Jahr 1908 eröffnete höhere Mädchenschule, für die sich der Bezirksverein Sachsenhausen mit einem Gesuch an den Magistrat sehr eingesetzt hatte. In diesem Gesuch, vom 15.Januar 1904, verwies der Bezirksverein auf die im Jahr 1901 eröffnete höhere Knabenschule (bis Ende des Zweiten Weltkriegs "Sachsenhäuser Oberrealschule", heute "Carl-Schurz Gymnasium"). Der westliche Teil von Sachsenhausen wurde wie folgt als geeigneter Standort für eine höhere Mädchenschule angepriesen:
"...Da nun nach der bestehenden Bauordnung in einem verhältnismässig grossen Teil der westlichen Sachsenhäuser Gemarkung nur Häuser mit zwei Obergeschossen, ja zum Teil nur Einfamilienhäuser erbaut werden dürfen, da ferner auf dem Sachsenhäuser Berg eine ähnliche Bauordnung Platz greifen soll, so sind auf diese Weise zwei Villenviertel in unserem Stadtteil in der Entstehung begriffen, welche in Gemeinschaft mit den bereits im Westen Sachsenhausens und am Mainufer befindlichen Villen eine wohlhabende Bevölkerung nach Sachsenhausen ziehen werden, wie sie -abgesehen vom Westend- in keinem anderen Frankfurter Stadtteil sein dürfte. Nun schicken aber Bürger, welche Einfamilienhäuser oder welche Wohnungen von 5, 6, 7 und mehr Zimmern bewohnen, ihre Söhne im Allgemeinen in höhere Knaben-, ihre Töchter in höhere Mädchenschulen. Derartige Bürger pflegen daher nur in solchen Stadtteilen Wohnung zu nehmen, in welchen die betreffenden Schulen nicht nur für ihre Söhne, sondern auch für ihre Töchter vorhanden sind.
Soll deshalb in der Entwicklung unseres Stadtteils durch den gänzlichen Mangel einer höheren Mädchenschule kein Stillstand eintreten, so muss notwendigerweise die Errichtung einer höheren Mädchenschule in Sachsenhausen baldigst erfolgen.
Aber nicht nur die gedeihliche Entwicklung unseres Stadtteils ist es, welche die Errichtung einer höheren Mädchenschule dringend fordert, noch in viel grösseren Masse ist die Errichtung einer solchen Schule ein notwendiges Bedürfnis für die nicht wohlhabende Bevölkerung Sachsenhausens.
Jeder Bürger, insbesondere aber der Bürger mit mittlerem und geringem Einkommen muss bestrebt sein, nicht nur seinen Söhnen, sondern auch seinen Töchtern eine Allgemeinbildung zu geben, die ihren Fähigkeiten und Gaben entspricht und die gebührende Rücksicht nimmt auf die etwaige Berufswahl der Kinder."
Das im Krieg stark beschädigte Schulgebäude stand an der Ecke Garten- und Morgenstern-straße und gehörte zur Gartenstraße. Erst mit dem in den 1950er Jahren errichteten Neubau erhielt die Schule eine Adresse in der Morgensternstraße. An der Stelle des alten Schulgebäudes wurde ein, aus Turnhalle und Aula bestehender zweigeschossiger Anbau errichtet. Im Jahr 1968 öffnete sich die Schule auch für Schüler und hat seitdem gemischte Schulklassen.
Die Schriftstellerin Mile Braach, Jahrgang 1898, erinnerte sich in ihren Lebenserinnerungen an die Schulzeit an der Schillerschule.
"Unsere Familie wohnte 1904 in der Wolfsgangstraße, also wurde ich für die Vorklasse der Elisabethenschule angemeldet. Wir waren etwa 40 Mädchen, aber herausragende Erinnerungen an diese Jahre habe ich nicht mehr.
1909 wechselte ich mit meinen beiden jüngeren Schwestern auf Wunsch der Eltern auf die Schillerschule. Sie stand damals im Ruf, die beste und modernste Mädchenschule in der Stadt zu sein. Und trotz des weiten Schulwegs (wir wohnten damals in der Roseggerstraße), den ich, wenn es irgendwie ging, mit dem Fahrrad bewältigte, war das eine gute Entscheidung. ich habe nur gute Erinnerungen an eine wunderschöne Zeit. Die Lehrkräfte waren meist jung, es herrschte ein lockerer Ton, ein anregendes Klima. In den Pausen ging's fröhlich zu, wir spielten auf dem Hof Ball, und was mir besonders gefiel, wir mußten nicht nach Pausenende antreten, um dann in Reih und Glied zum Klassenraum hinaufzustampfen.
Über der Schule thronte der allgegenwärtige Direktor Claudius Bojunga, ein dynamischer Mensch, ein Erlebnis für alle guten Schüler, aber auch eine Strafe für die, denen das Lernen schwer fiel. Bojunga war aber auch ein knochenharter Nationalist. Seine politische Gesinnung faßte er in einem Vierzeiler zusammen und donnerte ihn uns Schülern anläßlich vater-ländischer Feiern in der Aula entgegen:
Wir lieben vereint,
wir hassen vereint,
wir haben alle nur einen Feind:
England!
Manches Kind ertrug dies nicht und verließ weinend die Feier. Das erzählte ich zu Hause, und mein Vater, immer auf der Seite der Schwächeren, beschwerte sich persönlich bei Bojunga. Ob das half, weiß ich nicht mehr, mich persönlich ließ der Direktor die Intervention meines Vaters nicht spüren.
Wie hatten tüchtige Lehrkräfte, wirkliche Pädagogen: die Herren Sander und Schlosser, der sehr gerechte Mathematiker Zeisberg. Etwa die Hälfte des Kollegiums waren Frauen. Mir ist vor allem noch Frau Niebuhr in Erinnerung, eine exzellente und konsequente Lehrerin.
Einmal wöchentlich hatten wir einen Spielnachmittag (Hockey, Schlagball) auf den Sand-höfer Wiesen. Dann mußte ich also insgesamt viermal quer durch die Stadt radeln. Wenn sich eine von uns beim Spielen verletzte, das kam durchaus öfter vor, dann ging sie zu Frau von Weinberg im benachbarten Haus Buchenrode und wurde dort von ihr selbst versorgt und getröstet und, falls der Schaden recht hinderlich war, auch mit dem Auto nach Hause gebracht.
... Mit einigen Klassenkameradinnen verließ ich 1914 nach dem "Einjährigen" die Schule.“
Aus der Schillerschule ging eine Vielzahl sehr erfolgreicher Persönlichkeiten hervor, die in der Politik, dem Sport, der Wissenschaft oder der Kunst große Erfolge erreichten. Als Beispiele können Helene Meyer "Die blonde He" die 1928 mit einer Goldmedaille im Fechten von den Olympischen Spielen an die Schule zurückkehrte, die Schauspielerin Ilse Werner, oder Elisabeth Schwarzhaupt, die erste Bonner Bundesministerin (für das Gesundheitswesen, im Kabinett von Konrad Adenauer) oder die Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard stellvertretend genannt werden.
Der Schulhof wird nördlich von den Wohnhäusern der Gartenstraße und östlich von den Hinterhäusern der Garten- und Schneckenhofstraße begrenzt. Auf dem Schulhofgelände stehen mehrere wilde Weinstöcke, die sich schon seit Jahrzehnten an der hohen Backsteinmauer bis um die beiden Hinterhäuser der Schneckenhofstraße 20 erstrecken. Der Hinweis eines Anwohners, diese Weinstöcke stünden unter Naturschutz, hat sich nicht bestätigt. Die untere Naturschutzbehörde wusste noch nicht einmal von der Existenz dieser Weinstöcke, bedankte sich aber für die Information. Diese behördliche Auskunft überraschte insbesondere deshalb, weil vor wenigen Jahren dort Maßnahmen zur Sicherung der schweren und altersschwachen Verästelungen, durch das Grünflächenamt vorgenommen wurden. Die Äste wurden, mit an der Hausfassade (Schneckenhofstraße 20) gespannten Drähten, gesichert. Im Frühjahr sind dort übrigens Schwärme von Bienen und im Herbst von Staren zu beobachten.
Reaktionen auf den Beitrag
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mit meiner heutigen Antwort schöpfe ich aus zwei Quellen/Büchern.
In der "Denkmal-Topographie Stadt Frankfurt am Main" (1986 von der Frankfurter Denkmalgehörde herausgegeben) wird das Schulgebäude, mit der Adresse Launitzstraße 40, beschrieben als:
"Ehemalige städtische Bürgerschule für Knaben in spätklassizistischem Dekor von 1870/71 nach Entwurf von K.F. Henrich und J.J.G. Rügemer mit strenger Fassadenrasterung sowie prägnantem Mittelrisalit. Ursprünglich Verblendungsfassade unter Verputz über rustiziertem Sockelgeschoß in Werkstein, desgleichen Gliederungs- und Schmuckelemente."
Kurt Schäfer geht in seinem 1994 veröffentlichten Standardwerk "Schulen und Schulpolitik in Frankfurt am Main 1900-1945" auch auf die Geschichte der Gellertschule ein. Erschienen ist das Buch (Verlag Waldemar Kramer, 460 Seiten) in der Schriftenreihe Studien zur Frankfurt Geschichte im Auftrag des Frankfurter Vereins für Geschichte und Landeskunde in Verbindung mit der Frankfurter Historischen Kommission.
Mit freundlichen Grüßen
Jens-Holger Jensen (jensholger.jensen@freenet.de)
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mich interessiert die Historie des Gebäudes Wallschule (ehemal. Gellertschule) Diesterwegstrasse 11 sehr. Gibt es über die Geschichte dieses Gebäudes, insbesondere zu der Nutzung durch die Wallschule noch genauere Informationen?
Mit freundlichen Grüßen
Mary Burke - Boz
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nicht die Schweizer Straße sondern nur der Schweizer Platz wurde im Jahr 1933 in Gustav-Adolf-Platz umbenannt und behielt diesen Namen bis zum Jahr 1962. In diesem L.I.S.A.-Beitrag schildere ich im Kapitel zum Schweizer Platz die Einzelheiten wie es dazu kam.
Am 13.01.2018 wurde mir bereits von Frau Hildebrandt die Frage zum Bezug zur Schweiz gestellt. Die Frage konnte ich noch am gleichen Tag beantworten. Die Antwort auf Ihre Frage bitte ich meiner damaligen Kommentierung zu entnehmen.
Mit freundlichen Grüßen
Jens-Holger Jensen
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in Frankfurt Sachsenhausen, warum wurde die Strasse umbenannt von Gustav-Adolph-Strasse in Schweizerstrasse? Was hat Sachsenhausen mit der Schweiz zu tun?
Grüße,
Margery Bridstrup
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die Freude ist ganz auf meiner Seite, wenn Ihnen der L.I.S.A.-Beitrag zusagt.
Dem 1864 entstandenen Malerischen Plan von Frankfurt am Main und seiner nächsten Umgebung (Friedrich Wilhelm Delkeskamp), kann ein ursprünglicher Name (im Bereich zwischen dem nördlichen Mainufer und der Straßenkreuzung mit der Gartenstraße) "Heiligen Gäßchen" entnommen werden. Im Zusammenhang mit dem Bau der Untermainbrücke wurde dieser Abschnitt dann auch zeitweise als "Untermainbrückenstraße" bezeichnet. Der Name "Schweizer Straße" wurde 1874 festgelegt. Anlass war die in diesem Jahr von der Eidgenossenschaft beschlossene Verfassung. Im Volksmund hält sich die einfacher zu merkende Erklärung: "Da die Straße nach Süden in Richtung der Schweiz führt", was richtig ist und möglicherweise auch vor bald 150 Jahren zur Auswahl dieses Namens für diese Straße geführt hat.
Mit freundlichen Grüßen
Jens-Holger Jensen
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Gibt es eine Erklärung warum die Schweizer Straße, Schweizer Straße heißt?
Das würde mich interessieren ,habe nirgendwo eine Erklärung gefunden.
Vielen Dank im Vorraus
und beste Grüße
Michaela Hildebrandt