Die Frage, warum Wähler, die ehemals politischen Parteien aus dem linken Spektrum ihre Stimme gegeben haben, sich nun massiv einer eher rechten Politik zuwenden, beschäftigt nun schon seit einiger Zeit unter anderen politische Beobachter und Wahlforscher. Zuletzt kochte die Frage hoch, nachdem Donald Trump zur Überraschung vieler die Wahl zum US-Präsidenten für sich entscheiden konnte und dabei vor allem in der traditionellen Wählerschaft der Demokratischen Partei punktete. Auch im Zuge der vielen Besprechungen der Autobiographie des französischen Soziologen Didier Eribon "Rückkehr nach Reims" füllten diverse Erklärungen Zeitungsspalten und Stunden in Podiumsdiskussionen. In diese Zeit fällt auch das Buch von Christian Baron, in dem er fragt provokativ fragt: Warum verachten die Linken die Arbeiter? Das Buch ist während seines soziologischen Dissertationsvorhabens entstanden, das derzeit noch den Arbeitstitel "Die Kulturalisierung des Klassenkampfes. Eine kritische Analyse des massenmedialen Sozialstaatsdiskurses in Deutschland" trägt. Wir haben ihm zu seinem Buch und zu seiner Forschung unsere Fragen gestellt.
"Verschränkung von Rassismus und Klassismus in den Medien"
L.I.S.A.: Herr Baron, Sie promovieren zurzeit über den massenmedialen Sozialstaatsdiskurs in Deutschland. Was genau nehmen Sie dabei in den Blickpunkt? Welche Vorüberlegungen haben Sie zu diesem Thema geführt?
Baron: Als Kind der sogenannten Unterschicht habe ich mich mit meinen bildungsbürgerlichen Ambitionen schon früh bemüht, einen großen Rückstand aufzuholen. Während meine Freunde sich in Schulpausen in der Raucherecke über Autos und Musik unterhielten, saß ich als 16-Jähriger in der Bücherei und las die „FAZ“ und den „Spiegel“. Mir fehlte der spielerische Umgang mit dem Lesen, den die meisten meiner Mitschüler aus Mittelschichtselternhäusern von klein auf gelernt hatten. Bevor mich Literatur, Theater und Filmkunst begeistern konnten, habe ich mich darum über selbsternannte Qualitätsmedien mit Politik und Gesellschaft konfrontiert. Daraus hat sich eine bis heute anhaltende Leidenschaft für Medien ergeben.
Während meines Studiums bin ich auf Theorien und Analysen gestoßen, die mich alles kritisch hinterfragen ließen, was ich in der Zeitung las. Da lag es nahe, mich damit auch wissenschaftlich zu befassen. Einer meiner Schwerpunkte im Soziologie-Studium war die Sozialpolitik. In den Medien ist mir dabei der unkritische Umgang mit der Agenda 2010 negativ aufgefallen. Als später die Sarrazin-Debatte ausbrach, da hatte mich mein Promotionsthema gefunden. Ich wollte wissen, inwieweit sich die Verschränkung von Rassismus und Klassismus quer durch das politische Spektrum der Medien zeigt. Einen wichtigen Teil der Analyse bilden dabei die Online-Kommentare der Leserschaft, weil es dazu bisher kaum empirische Untersuchungen gibt.
Reaktionen auf den Beitrag
Kommentar
1. Zum Diskurskonzept: "Der Diskurs verleiht dem Text seine „Wahrheit“, und dieser Diskurs ist geleitet von machttechnisch etablierten Denkweisen und Ideologien, die wiederum festlegen, was wir überhaupt über die Welt wissen. Ein Text stellt dabei keinen Schlüssel zu einer dahinter liegenden Realität dar, sondern ist selbst als Material und Gegenstand der Erzeugung von Wissen und „Wahrheit“ zu verstehen." Das ist vollkommen richtig. Mir ist jedoch nicht klar, was jetzt der neue "Kniff" in Richtung Marxismus ist.
2. Zu den Wähler*innen der AfD: Bei den ganzen "Wahlanalysen" in den öffentlich-rechtlichen Medien wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass eine Vielzahl der Wähler*innen tatsächlich der Gruppe der Nichtwähler*innen angehören. Wie passt denn das mit dem Befund zu den vielen, nicht-wählen gehenden Arbeiter*innen zusammen?
Das sind wirklich ernstgemeinte Fragen und Anmerkungen, keine getarnte Kritik. Über Antworten würde ich mich freuen.
Mit freundlichen Grüßen,
Jörn Eiben