Im Jahr 1998 lief der US-amerikanische Kriegsfilm "Saving Private Ryan" im Kino - spätestens in den anschließenden Jahren feierte das Genre sein Comeback. Doch welche Vorstellungen von einer Nation und welche Geschlechterrollen finden in den Filmen Verwendung? Dr. Patricia Mühr, Kunst- und Kulturwissenschaftlerin an der Universität Oldenburg, ging diesen Fragen in ihrer Publikation zu (Trans-)Nationalen Narrationen und Geschlechterkonstruktionen im US-amerikanischen Kriegsfilm nach. Im Interview stellten wir Ihr außerdem Fragen nach sogenannten "Authentizitätseffekten" im Kriegsfilm und den Auswirkungen der Filme auf das kollektive Gedächtnis.
"Projektionen westlicher Gesellschaften"
L.I.S.A.: Frau Dr. Mühr, Sie haben ein Buch zu Soldatenkörpern im US-amerikanischen Kriegsfilm veröffentlicht. Dabei untersuchen Sie unter anderem (Trans-)Nationale Narrationen. Was ist unter letzterem zu verstehen?
Mühr: Die Begrifflichkeit (Trans-)Nationale Narration resultiert aus meiner Auseinandersetzung mit Vorstellungen von Nationen, Nationalismus und Narrationen und der Distributionsform Hollywood. Benedict Anderson hat Nationen als ,imagined communities‘ definiert. Nationen sind (moderne), gegenderte Konstrukte, die auf der Vorstellung aufbauen, eine natürlich begründete kollektive Einheit zu sein. Sie sind aber vielmehr ganz besonders wirkmächtige kulturelle Produkte[1] und sind Ergebnis von bestimmten gesellschaftspolitischen und technischen Entwicklungen in der europäischen Geschichte. Außerdem gibt es komplexe und ambivalente, visuelle Strategien, über die Nationen erfunden werden. Insbesondere diese Strategien, die sich auch als Erzählungen bezeichnen lassen, haben mich dazu veranlasst den Titel zu wählen. In diesem Sinne erzählen Filme von Soldatenkörpern, die ihren Teil zur Erfindung von Nationen oder Zugehörigkeit zur Nation beitragen. Ein Verzicht auf das Präfix wäre problematisch, weil m.E. durch Migrationsbewegungen und auf Grund von globalisierten Distributions-, Produktions- und Rezeptionsbedingungen sowie medialen Zirkulationen, wie sie von Hollywood vorgegeben werden, die Herstellung von Zugehörigkeit funktioniert. Die Vorsilbe präzisiert also, dass die über das Hollywoodkino verbreiteten Narrationen die ,Erfindung der Nation‘ globalisieren. Wichtig ist mir an der Beantwortung Ihrer Frage aber auch, dass ich mich gegen die Auffassung, dass die von Hollywood produzierten und weltweit vertriebenen Erzählungen, wie sie in Kriegsfilmen zu sehen gegeben werden für alle Menschen gleichermaßen funktionieren, da die dort produzierten Narrationen zwar global zirkulieren, aber weitverbreitete Projektionen westlicher Gesellschaften sind.